Wem die Stunde schlägt von LadyAramis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 10 BewertungenKapitel Verliebt, Verlobt, Verstorben
Kapitel 13
Verliebt, Verlobt, Verstorben
Richelieu erwachte mit einem Stöhnen. Mit der linken Hand fasste er sich an den Hinterkopf. Kein Blut, aber definitiv eine saftige Beule. Jetzt sah er auch, was ihn niedergeschlagen hatte. Ein Buch. Le morte d'arthur hatte ihn in das Reich der Träume geschickt. Er hatte diese Artussagen ohnehin nie ausstehen können.
Vorsichtig richtete er sich auf. Sein Hals fühlte sich etwas wund an und sein Kopf schmerzte, aber ansonsten ging es ihm gut. Etwas was man von Tréville nicht behaupten konnte. Er lag noch immer bewusstlos auf dem Teppich und als sich Richelieu über ihn beugte, sah er eine hässliche blutende Wunde direkt über Trévilles Augenbraue und eine bläuliche Prellung auf seiner Wange. Andenken an den Kerzenständer. But floss still und leise aus der lädierten Nase des Bewusstlosen.
Er rüttelte, nicht gerade zartfühlend an Trévilles Schultern. Keine Reaktion. „Ich werde Euch bestimmt nicht küssen um Euch zu wecken“, knurrte Richelieu. Ein Hauch von Besorgnis stieg in ihm auf. Wenn Tréville jetzt starb, würde es schwierig werden zu erklären warum er in der Bibliothek der Königin und ausgerechnet mit ihm als Gesellschaft sein Leben ausgehaucht hatte. Er fühlte den Puls und fand ihn zu seiner Erleichterung kräftig und regelmässig.
„Tréville!“ Wieder schüttelte er den Bewusstlosen und wieder erhielt er keine Reaktion. Nun, er würde ihm später nicht vorwerfen können, er hätte nichts anderes versucht. Mit einem diabolischen Grinsen holte Richelieu mit der flachen Hand aus, doch bevor er dazu kam dem Hauptmann die Ohrfeige seines Lebens zu verpassen, öffnete dieser die Augen und riss sie sogleich weit auf, als er die eindeutige Geste des Kardinals sah. Beinahe gleichzeitig schlang er seine Finger um Richelieus Handgelenk. „Wagt es ja nicht!“
Der Kardinal riss sich los. „Ich wollte Euch nur wecken nachdem Ihr eine so ausgezeichnete Figur im Kampf gegen den Kerzenständer abgegeben hat.“
Tréville setzte sich auf. „Ihr habt Euch auch nicht gerade von Eurer besten Seite gezeigt. Als ich dazukam, wart Ihr gerade dabei erwürgt zu werden.“ Er hielt sich die Hand unter die Nase um den Blutstrom zu stoppen. Widerwillig reichte Richelieu ihm eines seiner seidenbestickten Taschentücher, das Tréville dankend annahm und sich gegen die Nase presste. Grossartig. Erst sein Teppich und jetzt auch noch das Taschentuch.
Richelieu musterte Tréville mit einem misstrauischen Blick. „Das würde mich ohnehin interessieren: Was habt Ihr hier eigentlich gesucht? So spät in der Nacht?“
Tréville Stimme klang durch das Tuch etwas gedämpft. „Der König hat mich darum gebeten für Euren Schutz zu sorgen und ich nehme diese Aufgabe sehr ernst. Aber was wolltet Ihr so spät in der Bibliothek der Königin?“ Ein lauernder Ausdruck war in Trévilles graue Augen getreten. So erinnerte er Richelieu an eine Katze, die ihre Beute genau dort hatte, wo sie sie haben wollte.
„Ich wollte noch etwas lesen“, erwiderte er steif.
„Natürlich und unser unbekannter Angreifer hatte dieselbe Idee und wollte genau das Buch, das Ihr in der Hand hattet. Und als Ihr es ihm nicht geben wolltet, hat er beschlossen Euch ein wenig zu würgen.“ Trévilles Stimme troff förmlich vor Sarkasmus und es war unschwer herauszuhören, dass er ihm kein Wort glaubte.
Richelieu seufzte. „Gut, ich sage Euch was mich hiergebracht hat: Eurer toter Musketier.“
Es verschaffte ihm eine gewisse Befriedigung zu sehen wie Trévilles Gesichtsausdruck entgleiste. „Francis? Wie meint Ihr das?“ Er versuchte auf die Füsse zu kommen, schwankte aber so bedrohlich, dass Richelieu ihm schliesslich widerwillig seinen Arm lieh, um sich daran hochzuziehen. Immerhin hatte dieser Mann ihm das Leben gerettet. Tréville dankte ihm diese ungewöhnliche Hilfsbereitschaft mit einem knappen Nicken.
„Heute Abend kam eine gewisse Marie zu mir. Sie ist Zofe hier im Palast und Francis‘ Nichte. Sie hatte eine Nachricht von Francis für mich. Offenbar hat er sie ihr, kurz vor seinem Tod, gegeben, mit der Auflage, sie im Falle seines Todes mir zu übergeben.“
„Und was war das für eine Nachricht?“
Richelieu griff in seine Tasche und überreichte ihm den geöffneten Brief. Tréville las ihn laut: „Monsieur le Cardinal, ich habe etwas Entsetzliches erfahren. Ich wage es nicht, Euch das Geheimnis in diesem Brief mitzuteilen, aber Ihr werdet die Antworten finden, wenn Ihr in der Bibliothek der Königin die spanische Bibel aufschlagt…“, Tréville sah hoch, „was hat das zu bedeuten?“
„Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Ich wurde unterbrochen bevor ich die Spanische Bibel aufschlagen konnte. Und jetzt ist sie weg.“ Richelieu liess sich mit einem entkräfteten Seufzen in einen der Sessel fallen. Tréville folgte seinem Beispiel und setzte sich ihm gegenüber. Mit gerunzelter Stirn las er den Brief noch einmal. „Wieso hat er die Nachricht Euch zukommen lassen? Ohne mir jetzt etwas einzubilden, aber ich denke meine Musketiere haben ein grösseres Vertrauen zu mir als zu Euch.“
Das hatte Richelieu am meisten an der ganzen Geschichte erstaunt, aber er hatte sich inzwischen eine Theorie zurechtgelegt. „Weil er wahrscheinlich dachte, dass ich in der Sache eher helfen kann. Weil es vielleicht nichts mit den Musketieren, sondern mit dem Hof zu tun hat. Oder gar mit dem König und der Königin.“
Tréville beugte sich vor. „Die Nachricht ist ein Beweis dafür, dass Francis in mehr verwickelt war, als nur in eine Eifersuchtsgeschichte. Die Angreiferin war bereit, Euch zu töten. Es muss ein wichtiges Geheimnis sein, wenn jemand so weit geht, den Minister von Frankreich dafür zu töten.“
Unbewusst fuhr Richelieu sich mit der Hand an den Hals. Es war wirklich knapp gewesen. Wegen dieses elenden Briefes hatte er beinahe sein Leben verloren. „Woher wisst Ihr, dass es eine Frau war?“
„Als ich sie im Klammergriff hatte spürte ich gewisse körperliche Eigenheiten.“
Grossartig. Eine Frau hatte ihn überwältigt. Gott meinte es wirklich nicht gut mit ihm. Andererseits hatte sie auch Tréville niedergestreckt. „Es muss eine Frau vom Hof sein. Sonst hätte sie nicht von der Nachricht erfahren. Und sie hätte nichts von dem Geheimgang gewusst.“
„Vielleicht eine andere Zofe. Mädchen klatschen gerne. Marie hat vielleicht geplaudert und den Brief einer Freundin gezeigt.“ Trévilles Nase hatte endlich aufgehört zu bluten. Mit einem hinterlistigen Lächeln reichte er das blutgesprenkelte Tuch Richelieu, der es mit spitzen Fingern ergriff. Er würde es verbrennen.
„Francis muss etwas gewusst haben. Und weil er es wusste, musste er getötet werden. Wir wissen nicht, was das Geheimnis ist, aber wir wissen, dass es gefährlich genug ist um dafür über Leichen zu gehen.“
„Auf jeden Fall sind wir uns jetzt wohl einig, dass Francis nicht wegen einer albernen Eifersuchtsgeschichte das Leben lassen musste. Womit wir Aramis wohl ausschliessen können.“
Richelieu hasste es, wenn Tréville diesen selbstgefälligen Gesichtsausdruck aufsetzte und so erwiderte er mit allergrössten Vergnügen: „Oh, ich denke keineswegs, dass wir ihn ausschliessen können. Es ist noch immer eine unumstössliche Tatsache, dass wir ihn neben der Leiche von Francis gefunden haben. Und es besteht die Möglichkeit, dass er in die Verschwörung verwickelt ist.“
Tréville schlug hart mit der Faust auf die Armstützen seines Sessels. „Ich verbiete mir diese Verdächtigungen! Aramis ist ein Musketier, der dem König seit vielen Jahren treu und verlässlich dient. Er würde nichts tun, was der französischen Krone schadet!“
Es war geradezu lächerlich, wie Tréville sich echauffierte und es war zu verführerisch, das Feuer noch weiter anzufachen. „Wenn ich mich nicht irre, hat Aramis spanisches Blut?“, fragte er mit betont sanfter Stimme.
„Was hat jetzt das mit der Verschwörung zu tun?“
„Spanien ist nicht gerade ein Freund von Frankreich.“
Tréville sah aus, als wolle er ihn jetzt am liebsten gleich selbst erwürgen. „Aramis‘ Mutter war Spanierin, aber Aramis ist in Frankreich aufgewachsen. Und wenn wir gerade davon reden, Königin Anna ist ebenfalls Spanierin. Wollt Ihr ihr ebenfalls unterstellen, sie würde gegen den König intrigieren und seine Musketiere umbringen?“
Richelieu massierte sich die Schläfen. Trévilles laute, donnernde Stimme half seinen Kopfschmerzen nicht gerade. Deshalb hob er begütigend die Hand. „Friede, Tréville. Ich schliesse nach wie vor nicht aus, dass es Aramis gewesen sein könnte, aber ich werde die Sache auf jeden Fall gründlicher untersuchen, als ich es bis jetzt getan habe. Darauf habt Ihr mein Wort.“ Er streckte Tréville die Hand hin. Das fiel ihm keineswegs leicht, denn sein Hass auf diesen Mann und seine elende Truppe sass tief. Aber er nahm Mordversuche auf sich nun einmal sehr persönlich und es war besser, den Hauptmann in dieser Sache zum Verbündeten zu haben, statt als Feind.
Nach kurzem Zögern schlug Tréville ein, wobei er ein Gesicht machte, als weide er gerade einen Fisch aus. Es war ein Zweckbündnis nicht mehr. „Wir müssen den König, aber vor allem auch die Königin und ihr ungeborenes Kind schützen.“
Richelieu nickte und stemmte sich aus dem Sessel. Er war hundemüde. „Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt. Ich werde mich jetzt hinlegen, bevor ich morgen den König davon in Kenntnis setzen kann, dass in seinem Palast irgendetwas Unheimliches vorgeht, wir aber leider nicht so genau wissen, was es ist.“ Er freute sich jetzt schon darauf.
Er war schon bei der Tür, als Tréville plötzlich sagte: „Kann es sein, dass sie die Finger im Spiel hat? Milady?“
Ihr Name trieb einen leichten Schauer über Richelieus Rücken. Er hatte diese Mörderin geschaffen und sie war ihm nützlich gewesen. Und es waren Trévilles Musketiere gewesen, die ihn gezwungen hatten, auf seine nützlichste Waffe zu verzichten. Eine schöne Frau, eine gefährliche Frau, eine Frau, die für Geld vieles tat. Und dennoch war seine Stimme vollkommen sicher als er sagte: „Nein, das halte ich für ausgeschlossen.“
„Wie könnt Ihr das so bestimmt sagen?“
Richelieu lachte bitter. „Weil wir ansonsten jetzt nicht so gemütlich miteinander reden würden. Sie hätte uns ohne zu zögern die Kehlen durchgeschnitten.“
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D’Artagnan hatte schlecht geschlafen. Träume von Constance hatten ihn heimgesucht und es waren keine angenehmen Träume gewesen. Bilder einer gefangenen Constance, einer verletzten Constance, einer toten Constance hatten ihn gequält und selbst jetzt, als er in das helle Morgenlicht des Frühlingstages trat, steckten sie ihm noch in den Knochen. Er fuhr sich mit einer zitternden Hand durch die Haare. Wenn ihr etwas geschehen war, war es seine Schuld. Er zog sie immer mit in den grössten Schlamassel und war dann doch nicht in der Lage sie zu beschützen.
Der Hof der Garnison lag noch ruhig und leer da, von der üblichen Geschäftigkeit fehlte jede Spur. Die Musketiere schliefen alle noch; es gab kein Waffenklirren, kein Lachen, keine geschrienen Unterhalten und keine gebrüllten Flüche. Es war seltsam, aber die Stille tat d’Artagnans aufgewühlten Wesen gut. Die panische Angst verebbte.
Er zuckte zusammen, als eine schwere Hand auf seine Schulter fiel. „Du bist früh wach Grünschnabel.“ Porthos‘ Stimme klang noch kratzig vom Schlaf, aber er war schon vollständig angezogen und setzte sich gerade den Hut auf.
D’Artagnan hob die Brauen. „Du willst weggehen? So früh?“
Porthos gähnte und machte sich nicht die Mühe, die Hand vor den Mund zu nehmen. „Ich habe mich wieder mit Floh vor der Kirche verabredet. Vielleicht hat sie schon etwas über Ellen rausbekommen.“ Er klang gutgelaunt, als sei das ein ganz normaler Morgen, der ein weiteres Abenteuer für sie verhiess, aber d’Artagnan sah die dunklen Schatten unter seinen Augen und wusste, er war nicht der Einzige, der eine schlaflose Nacht hinter sich hatte. Er streckte die Hand aus und legte sie, in einer stummen Geste der Verbundenheit auf den Arm seines Freundes. Für einen kurzen Moment sahen sie sich in die Augen und wussten, dass sie in ihren Sorgen um die geliebten Menschen zumindest nicht alleine waren.
Lautes Hufgetrappel riss sie aus ihren Grübeleien. Beide Musketiere wandten den Kopf und sahen einen jungen Mann, gekleidet wie ein einfacher Bauer, der in einem mörderischen Tempo in den Hof preschte. Instinktiv wusste er, dass dies der langersehnte Bote war und er war in den Hof geeilt, bevor die Füsse des Reiters den Boden berührten.
„Ich nehme an, Ihr seid entweder Athos, Porthos oder d’Artagnan“, meinte der Bote mit einem halben Lächeln.
„Ich bin d’Artagnan, das ist Porthos. Athos schläft noch.“ Seinen Rausch aus, ergänzte er in Gedanken. Athos hatte immer seinen ganz eigenen Weg mit Problemen umzugehen.
„Dann ist die Nachricht für Euch.“ Der Junge reichte d’Artagnan den Brief, doch Porthos, der ebenfalls heruntergerannt war, riss ihn ungeduldig an sich und öffnete ihn mit einer Hast, als seien es die Zeilen seiner lang vermissten Geliebten. D’Artagnan brauchte ihn nicht zu fragen, ob es gute oder schlechte Nachrichten waren Das jäh erblühende Lächeln auf Porthos‘ Gesicht und das Strahlen seiner Augen, sagte ihm alles.
„Ihr gebt uns das Leben wieder“, sagte Porthos mit vor Erleichterung bebender Stimme und umarmte den völlig verblüfften Boten mit einer solchen Heftigkeit, dass d’Artagnan glaubte, die Knochen knacken zu hören. Er nutzte die Gelegenheit um den Brief aus Porthos‘ zitternder Hand zu nehmen und ihn ebenfalls zu lesen.
Meine Herren,
Die Vögel haben den Käfig verlassen und sind sicher in ihr Nest zurückgekehrt.
Sie hatte nicht unterschrieben, wahrscheinlich aus Furcht die Nachricht könnte abgefangen werden. Aber er erkannte Constances schwungvolle und kräftige Handschrift. Der Knoten, der sich um sein Herz gelegt hatte, löste sich. Sie lebten. Und sie hatten Aramis, zumindest für den Moment, vor einem grauenhaften Schicksal bewahrt.
Alles war gut.
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„Nichts ist gut, Aramis! Ich habe etwas Grauenhaftes getan!“
„Francis, beruhige dich und sage mir endlich, was dich dermassen aufregt.“
Das schöne, ebenmässige Gesicht seines Freundes verdunkelte sich. Die rauen Soldatenhände packten seine Schultern so hart, dass er einen überraschten Laut des Schmerzes von sich gab. Es erschreckte ihn. Von Porthos war er sich diese Grobheiten gewöhnt, denn er neigte dazu seine Kräfte zu überschätzen und suchte oft den körperlichen Kontakt. Francis jedoch war ein sehr beherrschter Charakter, oft sogar sehr kühl. Jetzt war er aufgewühlt…Nein, erkannte Aramis, er war ausser sich.
„Ich bin es nicht länger wert den Rock eines Musketiers zu tragen!“
„Jetzt hör endlich auf mit deinen kryptischen Andeutungen und sag es, bevor du daran erstickst!“
Francis Gesicht verzerrte sie jäh, wurde zu den hämischen Zügen des Kardinals. „Du hast ihn umgebracht, Aramis. Dafür wirst du hängen!“
Er wollte sich verteidigen, er wollte sagen, dass es nicht wahr ist, dass er Francis nie etwas angetan hätte, dass Francis sein Freund gewesen war, aber er konnte nichts sagen, weil seine Lunge so fürchterlich schmerzte und sein Kopf so weh tat.
„Wie war es, als du ihm das Leben genommen hast? Hast du dich mächtig gefühlt? Hat es dir gefallen? Du magst es doch, Macht zu haben oder?“ Das war nicht Richelieus Stimme, das war die von d’Artagnan, aber sie war kalt und herzlos, völlig das Gegenteil von dem sonst so lebhaften Gascogner. Wieder wollte Aramis sich verteidigen und wieder war er zu schwach dafür.
„Du denkst immer nur an dich selbst. Deine Ehre, deine Liebe, dein Glück. Francis war dir genauso egal, wie wir dir egal sind.“ Das war Athos‘ Stimme. Hart, streng, unerbittlich. Wie konnte Athos so etwas von ihm denken? Weil es wahr ist, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, weil Athos die Menschen durchschaute und auch deine guten Manieren und dein fröhliches Lächeln durchschaut hat!
„Wirst du auch mich töten, wenn ich zwischen dir und einer Frau stehe“ Porthos‘ Stimme, war nicht wütend oder anklagend, sondern einfach nur enttäuscht. Es schmerzte ihn mehr, als wenn er geschrien hätte. Und es war dieser Schmerz, der sein Herz zerfrass, der ihn dazu brachte den Mund zu öffnen. Aber er konnte keine Worte formen. Also schrie er seine Unschuld in die Welt.
Und erwachte, nach Atem ringend, aus seinen Alpträumen. Er presste die geballte Faust gegen seine Brust, als er sich keuchend nach vorne beugte. Sein Röcheln ging in ein heftiges Husten über, das ihm die Tränen in die Augen trieb und ihn beinahe wünschen liess, er schwelge immer noch in seinen dunklen Träumen, statt im wachen Zustand ersticken zu müssen.
Jemand strich ihm tröstend über den Rücken und hielt ihn fest, bis der krampfartige Husten endlich verebbte. Constance. Ihre Berührungen waren inzwischen schon vertraut, so oft hatte sie ihn inzwischen schon gehalten und versucht ihm irgendwie Linderung zu verschaffen. Er war dankbar, dass sie hier war und weil ihm die Worte fehlten, um ihr seine Gefühle auszudrücken, nahm er ihre Hand und drückte sie. Er wusste, dass sie ihn verstand.
„Leg dich wieder hin, Aramis“, befahl sie sanft und drückte ihn zurück in die Kissen. Er gehorchte, liess die Augen aber geöffnet. Die Bilder seine Träume hatten ihn zutiefst erschreckt. Seine Freunde, die ihn anklagten und ihm seine schlimmsten Charaktereigenschaften vorhielten, das war bitter gewesen, selbst in der Welt der Illusionen. Dennoch der erste Teil seines Traumes war Erinnerung gewesen, da war er sich sicher. Es waren Fetzen eines Gespräches gewesen, das er tatsächlich geführt hatte. Nur brachte er die einzelnen Teile immer noch nicht recht zusammen.
„Du musst was essen.“ Constance reichte ihm eine Schüssel, bis zum Rand gefüllt mit Suppe.
Sie duftete köstlich, aber Aramis verzog das Gesicht und machte keine Anstalten sie entgegen zu nehmen. „Ich habe keinen Hunger“, murrte er.
Constance seufzte. „Ich musste dich schon ausziehen. Ich werde dich bestimmt jetzt auch noch füttern.“
„Ich mag nichts essen.“
Ihr Gesicht wurde weicher. Sie stellte die Schüssel weg und legte ihre Hand auf Aramis‘ Wange. Unwillkürlich schmiegte er sich in ihre Handfläche. „Wir müssen dieses Fieber runterbringen. Ich schlage dir ein Geschäft vor: Du musst die Suppe nicht essen, aber dafür meinen berühmten Kräuteraufguss trinken. Einverstanden?“
Ihre gute Laune mochte nur gespielt sein, dennoch tat sie ihm gut. Also ging er auf ihren scherzhaften Ton ein. „Wenn er nur halb so ekelhaft ist, wie d’Artagnan ihn beschreibt, ist die Suppe vielleicht die bessere Variante.“
„Er redet also über mich?“ Sie sagte es beiläufig, während sie aufstand und ihm die Kissen zurechtrückte, als sei er ihr alter Opa. Doch er liess sich nicht davon täuschen. So krampfhaft sie und d’Artagnan es auch vermieden über ihre missglückte Liebesgeschichte zu sprechen, so klar war es auch, dass die beiden nicht voneinander loskamen.
Aramis umfasste ihr Handgelenk, um sie dazu zu bringen ihn anzusehen. „Constance, du musst eines wissen: Was auch immer zwischen euch geschehen ist, er liebt dich sehr.“
„Woher weisst du das? Hat er das gesagt?“, hakte sie hastig nach.
„Nein. Ich sehe es in seinen Augen, diesen Ausdruck, den ein Mann nur dann hat, wenn er die Frau, die er von ganzen Herzen liebt, nicht haben kann“, erklärte Aramis und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme bebte. Er dachte an Anna, die für ihn niemals Anna sein würde, sondern immer die Königin, immer unerreichbar, immer in der Ferne.
„Und woher kennst du diesen Blick?“
„Ich sehe ihn jeden Tag im Spiegel.“
Sie sahen sich an, verbunden in ihrem Schmerz über eine verlorene Liebe, aber vor allem verbunden in ihrem Schmerz über eine Liebe, die nie hatte richtig erblühen können. Dann straffte sie die Schultern. „Du solltest jetzt noch ein wenig schlafen, während ich deinen Tee koche und Wadenwickel vorbereite.“
Er seufzte schicksalsergeben. „Ich kann es kaum erwarten.“
„Du solltest dich geehrt fühlen. Nicht jeder kommt in den Genuss meiner Pflege“, lachte sie.
„Ich hoffe, deine Patienten haben bis jetzt alle überlebt.“
„Beschwert hat sich bis jetzt noch keiner.“ Sie zog fürsorglich die Decke über ihn und er schloss die Augen. Er war zu Tode erschöpft und glitt trotz seiner Ängste und seiner noch immer schmerzenden Brust schliesslich in einen gnädigen Schlaf, der frei war von Alpträumen und Schatten.
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Athos hatte kaum den Fuss aus seinem Quartier gesetzt, als sich eine Gestalt um seinen Hals hängte und ihn so stürmisch an sich drückte, dass es ihm die Luft abschnürte. Fieberhaft überlegte er, ob er sich in letzter Zeit vielleicht etwas zu intensiv mit irgendeiner Dame beschäftigt hatte, kam dann aber zu dem Schluss, dass er keine Liebeleien gehabt hatte, zumal sich die Person auch eine Spur zu kräftig in seinen Armen anfühlte und er schwören konnte, einen Bart zu fühlen, der sich gegen seine Wange presste.
„Constance geht es gut!“, jubilierte es dicht an seinem Ohr und Athos identifizierte die Klette als d’Artagnan. Er verzog das Gesicht. Sein Kopf schmerzte noch ziemlich von dem mehr als reichlich konsumierten Wein und d’Artagnans überdrehtes Getue half ihm nicht gerade und auch, dass er ihn an sich drückte wie seine lang verschollene Lieblingspuppe half nicht gerade.
„Aber mir geht es bald nicht mehr gut, wenn du mich weiterhin im Würgegriff hältst!“, ächzte Athos und zerrte ungeduldig an d’Artagnans Arm, der sich wie eine Schlinge um seinen Hals gelegt hatte.
„Oh. Entschuldigung.“ D’Artagnan liess ihn los. Er strahlte übers ganze Gesicht. Fröhlichkeit gehörte zu d’Artagnans Wesen, wie sein unstillbarer Durst nach Abenteuer und seine Verwegenheit, aber eigentlich war er morgens immer ein wenig grantig. Davon war jetzt nichts zu spüren. Er grinste, als hätte er sich mit Wein zugeschüttet.
as die Liebe alles mit dem Herz eines Mannes anzustellen vermochte. „Also hat sie Nachricht gegeben?“
D’Artagnan nickte. „Die vereinbarte Verschlüsselung. Sie ist in Sicherheit. Und Aramis natürlich auch“, fügte er hastig hinzu und errötete leicht, als ihm klar wurde, dass er nur an seine Liebste gedacht und seinen Freund zur Nebensächlichkeit degradiert hatte. Athos lächelte nachsichtig. D’Artagnan und Constance, das war ein Thema für sich.
„Weiss es Porthos schon?“ Eigentlich ein Wunder, dass Porthos sich ihm nicht auch gleich um den Hals geworfen hatte. Wenn er sich allerdings das Gewicht seines Freundes vor Augen führte, war er zutiefst dankbar.
„Ja, weiss er. Er ist aber gleich los. Wollte sich noch mit Floh treffen.“
Athos wollte gerade eine anzügliche Bemerkung über Porthos und Floh fallen lassen, da kam Tréville um die Ecke gebogen. Er sah mindestens so müde aus wie Athos sich fühlte und machte ein Gesicht, als habe der König gerade von ihm verlangt den Kardinal zu heiraten. Ohne Zeit mit einem Morgengruss zu verschwenden, knurrte er die beiden an: „In mein Arbeitszimmer. Jetzt. Lagebesprechung.“
Athos und d’Artagnan wechselten einen besorgten Blick. Das klang nicht gut. Das klang gar nicht gut. Nun, dachte Athos, als er Tréville schweigend folgte, es ist wohl einfach nicht unsere Woche.
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„Wir sollten aufhören uns hier zu treffen. Die Leute werde noch denken, wir würden irgendeine Verschwörung planen, wie zum Beispiel den Kardinal zu überfallen oder unschuldige Frauen zu verfolgen“, begrüsste Floh ihn, als er den Friedhof betrat. Sie lehnte, völlig respektlos, an einem verwitterten Grabstein und wirkte äusserst zufrieden mit sich selbst. Sie hatte also wohl tatsächlich etwas über Ellen herausgefunden.
„Hier stört uns niemand“, entgegnete Porthos, warf aber gleichzeitig einen Blick über die Schulter. Er hatte die geisteskranke Madame Lilith keineswegs vergessen. Ein wenig ärgerte es ihn, dass er sich von ihr dermassen hatte verrückt machen lassen. Jetzt in der Morgensonne und in der Gewissheit, dass Aramis in Sicherheit war, verstand er nicht mehr, wieso er auf ihre rätselhafte Prophezeiung eingegangen war. Sie hatte einfach Glück gehabt und richtig geraten.
Floh entging seine Unbehaglichkeit natürlich nicht. „Was ist? Hast du Angst, die Toten könnten aus ihren Gräbern steigen und uns für unsere Ungezogenheiten bestrafen? Das pflegen sie nur nachts zu tun.“
Er mochte es nicht, wenn sie so spöttisch überlegen tat, liess es aber sein, sie zurechtzuweisen. Stattdessen verschränkte er die Arme und sah sie herausfordernd an. „Deiner guten Laune entnehme ich, dass du wahrscheinlich eine wichtige Information für mich hast. Raus mit der Sprache!“
„Du könntest ruhig etwas freundlicher zu mir sein.“
Sie genoss es ihn zu reizen und hinzuhalten. Das hatte sie immer schon gemacht, ihn so lange getriezt, bis es aus ihn herausgebrochen war. Meistens hatte es damit geendet, dass er sie auf das Bett geworfen und sie sich leidenschaftlich geliebt hatten. Er erinnerte sich noch genau an ihre wilden, brennenden Küsse auf seiner Haut, an ihre Fingernägel, die sich über seinen Rücken zogen, als sei sie keine Frau, sondern eine Katze. Ein Teil von ihm, der Teil, der immer noch der Junge vom Hof der Wunder war, wollte sie immer noch und er musste sich davon abhalten, sie mit derselben Leidenschaft zu nehmen, die sie als Liebespaar ausgezeichnet hatte. Aber erstens war es wohl mehr als pietätlos es auf einem Friedhof zu tun und zweitens gehörte der wesentlich grössere Teil seines Herzens Adelina. Also beherrschte er sich.
„Floh. Bitte. Wir haben keine Zeit für deine Spielchen.“
Sie zog einen Schmollmund. „Schade. Aber wenn du darauf bestehst: Unsere kleine Mademoiselle Ellen ist verlobt.“
Porthos begriff nicht. „Ja. Mit Francis. Das wissen wir bereits.“
Über Flohs Gesicht glitt ein listiges Lächeln. „Alain de Crécey Nein. Sie ist immer noch verlobt. Mit einem reichen Gutsbesitzer namens. Er ist zwar mindestens doppelt so alt wie sie, aber ist märchenhaft reich. Er hat riesige Ländereien ausserhalb von Paris. Dort wohnt sie jetzt und in ein paar Monaten wird eine grosse Hochzeit gefeiert.“
In Porthos‘ Kopf fügte sich alles zusammen. Ellen, dieses kleine Luder, war mit zwei Männern gleichzeitig verlobt gewesen. Ihr Vater hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, sie sei bei ihrem Verlobten, sie war tatsächlich dort gewesen. Und deshalb waren die Eltern auch nicht zur Beerdigung erschienen, weil sie wahrscheinlich gar nicht gewusst hatten, in welcher Beziehung der verstorbene Musketier zu ihrer Tochter gestanden hatte.
„Wieso hat sie sich mit beiden Männern verlobt? Sie konnte ja schlecht beide heiraten!“
„Wahrscheinlich konnte sie sich nicht entscheiden. Soll sie den reichen aber steinalten Alain heiraten oder doch den gutaussehenden aber mittellosen Francis? Das arme Ding hatte wirklich eine schwere Wahl.“
Porthos Herz schwoll bereits zum zweiten Mal an diesem Tag vor Freude an. In seinem jähen, frohen Taumel ergriff er Flohs Hände. „Weisst du, was das bedeutet? Wir haben den Mord wahrscheinlich aufgeklärt! Francis muss dahinter gekommen sein, dass Ellen noch einen anderen Verlobten hatte und er hat ihr vielleicht gedroht, es auch Alain zu erzählen. Sie war wütend, weil er ihre Zukunft zerstören wollte. Auf dem Hinterhof wollte sie ihn bitten, es noch einmal zu überdenken. Sie stritten sich, sie zog das Messer und erstach ihn. Und weil Aramis alles gesehen hatte, schlug sie ihn nieder, um ihm dann den Mord anzuhängen.“
Ja, so musste es gewesen sein. So gab alles einen Sinn. Ihr von Anfang an feindseliges Verhalten, ihre Lügen, ihre heftigen Anschuldigungen gegen Aramis. Alles nur, um von sich selbst abzulenken. Das Einzige was nicht ins Bild passte, war Robert Dupont, aber was machte das schon. Vielleicht war dieser einfach vom Kardinal bestochen worden und es steckte gar nicht mehr dahinter.
Floh befreite ihre Hand aus der seinen. „Das musst du ihr erst alles beweisen, Porthos. Es ist gewiss nicht gerade edel, zwei Liebhaber gleichzeitig zu haben, aber es ist noch lange kein Beweis für ihre Schuld.“
Sie machte ja beinahe Athos Konkurrenz mit ihren pessimistischen Äusserungen. Und er war gar nicht in Stimmung für solche Feinheiten. Lässig winkte er ab. „Wir werden das Geständnis schon aus ihr rauskitzeln, keine Sorge. Danke, Floh. Das werde ich dir nie vergessen.“
„Stets zu Diensten.“
„Wenn ich einmal irgendwas für dich tun….“, begann Porthos, doch sie hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ihre Augen, sonst voller Kälte, die das Leben sie gelehrt hatte, hatten auf einmal einen warmen Schimmer und sie klang ehrlich, als sie sagte: „Porthos, du weisst, ich würde noch weit mehr für dich tun, als einer dummen Frau zu folgen und ein paar Bedienstete auszuquetschen. Aber das heisst natürlich nicht, dass ich auf meine Bezahlung verzichten werde!“
Porthos lachte. „Du kleine, geldgierige Gaunerin!“, zog er sie auf und konnte trotz aller guten Vorsätze nicht widerstehen, sie um die Hüfte zu fassen und näher an sich zu ziehen.
Sie öffnete den Mund, aber Porthos sollte nie erfahren, welche Keckheit sie ihn an den Kopf werfen wollten. Denn in diesen Moment hallte ein Schrei aus der Kirche, ein grauenhafter, spitzer Schrei, der durch Mark und Bein drang. Abrupt liess er Floh los, riss den Degen aus der Scheide und stürmte in die Kirche, Floh dicht auf den Fersen.
Als er die schweren Flügeltüren aufstiess, sah er Madame Lilith, die ihre Hand vor dem Mund geschlagen hatte und nach oben starrte. Und dort, von der Empore herunter, baumelte, mit weit aufgerissenen, glasigen Augen und einer Schlinge um den Hals, der Verräter Robert Dupont.
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