Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Ellens Geheimnis

Kapitel 16

Ellens Geheimnis

 

„Über was sollen wir reden?“, presste Alain zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und wand sich in Athos‘ festem Griff.

„Was auch immer sie sagen, es ist gelogen!“, kreischte Ellen und versuchte Porthos ins Schienbein zu treten. Eine falsche Entscheidung. Ohnehin schlecht auf sie zu sprechen drehte er ihr rücksichtslos die Arme auf den Rücken, was ihr einen Schmerzensschrei entlockte.

„Pass auf, wen du hier der Lüge bezichtigst, Püppchen“, knurrte Porthos und hätte er nicht so eine böse Grimasse gezogen, wäre es zum Lachen gewesen. Manchmal unterstrich Porthos seine wechselhafte Vergangenheit als Meisterdieb und Gauner etwas zu sehr, für Athos‘ Geschmack. Fast so, als wolle er krankhaft jedes Klischee erfüllen.

„Hört auf Ihr wehzutun, Grobian!“, verteidigte Alain seine Verlobte. Langsam war Athos beeindruckt von der Vehemenz, mit der der Gutsherr für Ellen stritt. Es tat ihm beinahe Leid, ihm seine Illusionen nehmen zu müssen, aber früher oder später machte nun einmal jeder Mann seine Erfahrung mit verräterischen Frauen. Davon konnte er wahrlich ein Lied singen.

„Ich würde ja eine bequemere Stellung vorziehen um miteinander zu plaudern“, warf d’Artagnan ein, der immer noch den Diener am Nacken hielt, als handle es sich um ein äusserst aggressives Kaninchen, „aber die Herrschaften wirken ein wenig echauffiert. Vielleicht sollten wir es kurz machen.“

„Ich stimme dir zu, mein junger Freund. Machen wir es also kurz: Unser Freund Aramis wurde zum Tode verurteilt, weil er angeblich seinen guten Bekannten Francis umgebracht haben soll. Zu verdanken hat er dieses voreilige Urteil dieser reizenden Dame hier.“ Athos nickte mit den Kopf Richtung Ellen, die gerade auf reizende Art und Weise ein scharfes Fauchen hören liess.

„Diese Dame hat nämlich behauptet, sie sei die Geliebte von Aramis gewesen“, fuhr d’Artagnan mit Unschuldsmiene fort.

Alain hörte auf sich gegen Athos zu sträuben. Er warf Ellen einen verwirrten Blick zu. „Aramis? Francis? Kennst du diese Menschen etwa, Liebling?“

In scheinbarer Verblüffung riss Porthos die Augen auf. „Er weiss es gar nicht?“

„Was weiss ich nicht? Ellen, erklär mir das!“, verlangte Alain mit bebender Stimme. Armer Mann. Seine ganze heile Welt brach gerade in sich zusammen. 

Ellen war totenbleich geworden und feine Schweissperlen standen auf ihrer Stirn. „Glaub ihnen nicht, Alain!“, flehte sie und es wäre rührend gewesen, wenn nicht jedes Wort aus ihrem Mund eine dicke Lüge gewesen wäre. Obwohl sie mit dem Rücken zur Wand stand, weigerte sie sich noch immer, die Wahrheit zu sagen. Aber vielleicht hätte Athos dasselbe getan, wenn er kurz davor gestanden hätte, sein privilegiertes Leben zu verlieren. Wenn er denn noch ein privilegiertes Leben gehabt hätte, natürlich.

„Halt den Mund“, fuhr Porthos sie an, bevor er sich wieder an Alain wandte: „Wir kennen Ellen schon eine ganze Weile. Allerdings nicht als reiche Gutsherrin, sondern als Verlobte unseres Freundes Francis.“

„Was?“, riefen Alain und sein Diener gleichzeitig aus, während Ellen nur ein leises Wimmern hören liess.

„Und in dieser Position hat sie Aramis vor Gericht des Mordes beschuldigt. Er sei eifersüchtig auf Francis geworden und habe ihn deshalb erstochen. Eine nette, glaubwürdige Geschichte mit nur einem Haken: Aramis hat sie nie angerührt“, erzählte Athos ungerührt ohne auf Ellens verzweifeltes Jammern zu achten.

„Also haben wir ein bisschen nachgeforscht wieso Ellen so etwas einfach behauptet. Und dann haben wir zu unserem Erstaunen festgestellt, dass Ellen noch einen Verlobten hat: Euch.“ Porthos deutete auf Alain, der aufgehört hatte sich zu sträuben und stattdessen mit offenem Mund seine Verlobte anstarrte.

„Ist das wahr? Du bist…du warst verlobt mit einem Musketier?“, stammelte Alain.

War es sein verletzter Gesichtsausdruck, seine gebrochene Stimme oder schlicht die Erkenntnis, dass sie sich aus dieser Situation nicht mehr würde herauswinden können: Auf jeden Fall brach Ellens Widerstand endlich ein. Sie schluchzte herzzerreissend. „Es tut mir so leid! Ich war dumm, einfach nur dumm. Ich habe ihn nie geliebt. Ich habe nur dich geliebt!“

Dich und dein Geld, dachte Athos aber er war doch nicht herzlos genug es laut auszusprechen. Dass Ellen sich zweimal verlobt hatte, war gewiss nicht recht gewesen, aber letztendlich eine Privatsache zwischen ihr und Alain. Das Einzige, was ihn interessierte war, ob Ellen Francis erstochen hatte oder nicht.

„Francis hat es herausgefunden oder? Hat dich zur Rede gestellt, wollte Alain die Wahrheit sagen, wollte dein Leben als reiche Gutsherrin beenden, bevor es überhaupt angefangen hat. Und da hast du beschlossen ihn umzubringen oder?“, donnerte Porthos sie an und schüttelte sie leicht.

„Nein! Nein, ich habe ihn nicht umgebracht“, entgegnete Ellen heftig.

„Natürlich. Und du hast vor Gericht auch nur die Wahrheit gesagt“, meinte d’Artagnan sarkastisch. Der Gascogner hatte den Diener inzwischen losgelassen, da dieser so entsetzt von all diesen mörderischen Geschichten war, dass er wie zur Salzsäule erstarrt dastand und an Widerstand gar nicht mehr zu denken schien. Stattdessen hatte der Gascogner sich neben Porthos positioniert, vermutlich um rechtzeitig eingreifen zu können, wenn dieser anfing Ellen ernsthaft Schaden zuzufügen.

Ellens Gesicht war inzwischen tränenverschmiert. „Ich gebe ja zu, ich habe gelogen vor Gericht. Ich hatte solche Angst, dass mein Geheimnis rauskommt und ich alles verliere!“

„Da dachtest du, ich schieb jetzt mal alles Aramis in die Schuhe, damit er hängen kann?“ Athos konnte seine Stimme nun auch nicht mehr beherrschen. Wie hatte sie das nur tun können? Sie hatte Aramis dem Tode geweiht, nur um ihre eigene Haut zu retten. Da fiel es ihm wahrlich schwer Mitleid zu haben.

 

„Ich weiss, es war schändlich. Aber ihr müsst mir glauben: Ich habe Francis nicht getötet“, wiederholte Ellen. Aber obwohl sie weinte und wahrlich ein Bild des Jammers bot, las Athos in ihren Augen nur eines. Selbstmitleid. Sie hatte kein Erbarmen mit Aramis, den sie so leichtsinnig dem Tod preisgegeben hatte, sie fürchtete nur um ihre gesellschaftliche Stellung.

Es war diese Erkenntnis, die Athos dazu brachte nichts zu sagen, als Porthos Ellen jäh zu sich umdrehte und die Hand hob, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Doch zu der Überraschung aller Anwesenden, liess er sie kopfschüttelnd sinken. „Du bist es nicht wert“, sagte er schlicht und liess sie los. All dieser überschäumende Zorn, der die ganzen Tage in ihm geschlummert hatte, schien verpufft zu sein. Jetzt wirkte er einfach nur erschöpft und enttäuscht, als könne er die menschlichen Abgründe, die sich ihm so jäh offenbarten gar nicht recht fassen.

Athos griff in seine Tasche und zog einen Gegenstand hervor, den er schon lange mit sich rumschleppte. Es war das Medaillon, das er damals im Leichenkeller von Duval bekommen hatte. „Das war bei Francis persönlichen Sachen. Ich nehme an, es ist deine.“

Er erwartete eigentlich so etwas wie ein erschrockenes Erkennen in Ellens Gesicht, aber er sah nur ehrliche Verwirrung. „Das ist nicht meine“, erwiderte sie, „ich habe nie ein solches Schmuckstück besessen.“

„Wann wurde dieser Francis getötet?“, mischte sich da jäh Alain ins Gespräch. Athos hatte ihn losgelassen und der ramponiert aussehende Gutsherr hatte sich aufgerappelt. Er war ebenso bleich wie Ellen, wirkte aber ansonsten ziemlich gefasst, angesichts der Tatsache, dass seine Verlobte ihn nach Strich und Faden belogen hatte.

D’Artagnan nannte ihm das genaue Datum und den vermuteten Todeszeitpunkt. Daraufhin schwieg Alain und sah Ellen lange an, als müsse er seine Gedanken ordnen. Dann sagte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme: „Dann kann sie es nicht gewesen sein. Sie war bei mir. Die ganze Nacht. Und glaubt mir, ich würde augenblicklich gerne etwas anderes behaupten. Aber es ist die Wahrheit!“

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Constance strich Aramis über das schweissnasse Haar. Die letzten Stunden waren grauenhaft gewesen. Furchtbare Hustenanfälle hatten ihn gequält und ein paarmal hatte Constance befürchtet, er würde ersticken. Als sie endlich abgeklungen waren, war Aramis zu Tode erschöpft eingeschlafen und seitdem nicht mehr aufgewacht. Seine Brust hob und senkte sich viel zu schnell und wenn Constance die Finger um sein Handgelenk legte, konnte sie den rasenden Puls fühlen.

Als es an der Tür klopfte, seufzte sie vor Erleichterung. Bruder Mathias war endlich gekommen. „Ich bin gleich wieder da“, flüsterte sie Aramis ins Ohr, bevor sie sich erhob um den Mönch in Empfang zu nehmen.

Als sie die Tür öffnete, sah sie sich einem wahren Ungetüm gegenüber und für einen winzigen Moment glaubte Constance einen Bären gegenüberzustehen, bis ihr Verstand sich meldete. Ein Bär würde wohl kaum höflich an die Tür klopfen und würde wohl auch nicht mit artiger Stimme sagen: „Guten Abend, Madame Bonacieux.“

„Bruder Mathias?“, fragte Constance ungläubig und konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verbeissen. Sie hatte die Eigenarten des jungen Mönches schon letztes Jahr kennengelernt, aber er überraschte sie immer wieder mit seinen verrückten Einfällen. Jetzt hatte er sich aus irgendeinem Grund mehrere Satteldecken umgehängt und sich zusätzlich einen Schal um den Mund gewickelt, so dass man nur die Augen sah. Seine Hände steckten in Wollhandschuhen und um sein Hinterteil hatte er sich gar ein Kissen geschnallt.

„Oh, ich sehe mein Aufzug verwirrt Euch etwas. Wisst Ihr, man erkältet sich bei einem nächtlichen Ritt so schnell und dem wollte ich vorbeugen“, erklärte Mathias eifrig.

Natürlich. Mathias neigte ja dazu überbesorgt zu sein, was die Gesundheit anging. „Und das Kissen? Ist das eine Art Geheimwaffe?“, erkundigte sie sich, wobei sie darauf achtete ernsthaft interessiert zu klingen und nicht allzu belustigt. Sie wollte den guten Bruder schliesslich nicht kränken.

„Nein, nein, aber ich vertrage den Sattel immer so schlecht. Mit den Kissen ist es zumindest etwas bequemer und wenn ich runterfalle, bin ich zudem besser geschützt.“

Über die Schulter von Bruder Mathias sah Constance sein friedlich grasendes Reittier, wobei es sich allerdings keineswegs um ein stolzes Ross, sondern um ein gutmütiges, klappriges Maultier handelte, das auf den Namen Bartholomäus hörte. Es war schwierig sich vorzustellen, dass dieses brave Tier jemals auf die kühne Idee verfiele, seinen Reiter abzuwerfen.

„Ich bin froh, dass Ihr gekommen seid“, sagte Constance mit warmen Lächeln, als sie den Mönch in ihr Haus geleitete und ihm dabei half sich aus den Decken zu schälen. Der Mönch war unter den vielen Schichten natürlich schweissgebadet, aber hoffentlich war er zumindest der gefürchteten Erkältung entronnen.

„Wenn ein Kranker mich braucht bin ich immer da“, sagte Mathias eine Spur zu grossartig, aber Constance wusste, dass er es ehrlich meinte.

Aramis nutzte gerade diesen Moment um sich bemerkbar zu machen. Sein lautes, keuchendes Husten klang furchtbar laut und obwohl dieses verhasste Geräusch ihr inzwischen schmerzhaft vertraut war, schloss Constance in stummer Verzweiflung die Augen. „Bitte. Ihr müsst ihm helfen.“

Ein äusserst besorgter Ausdruck glitt über Mathias‘ Gesicht, sofern man das bei seiner immer sorgenumwölkten Miene überhaupt sagen konnte. „Das klingt allerdings gar nicht gut“, murmelte er abwesend, bevor er sich an Constance wandte, „aber ich werde ihn mir jetzt erst einmal ansehen, bevor ich mir ein Urteil bilde.“

Constance führte ihn ins Schlafzimmer. Aramis war aufgewacht und wirkte sogar einigermassen klar, wenn auch unendlich erschöpft. Sein Gesicht war abgesehen von den glühend roten Wangen leichenblass, seine Lippen rissig und aufgesprungen. Und doch sah man einen Anflug von Humor in Aramis‘ glänzenden Augen, als er den Mönch an Constances Seite erkannte.  „Findest du es nicht ein wenig verfrüht einen Mönch zu holen? Noch liege ich  nicht im Sterben.“

„Du sollst über so etwas keine Scherze machen“, rügte Constance ihn, „Bruder Mathias ist ein grosser Heiler!“

Das hätte sie lieber nicht sagen sollen. Bruder Mathias hob abwehrend die Hände. „Madame Bonacieux, Ihr dürft mich nicht überschätzen! Es gibt so viele Krankheiten gegen die kein Kraut gewachsen ist, egal wie sehr man sich bemüht! Und dann gibt es Blutungen, die man nicht stoppen kann, Wunden, die sich tödlich entzünden können, Brüche, die nicht mehr richtig zusammenwachen…Wisst Ihr, je weiter die Medizin ist, desto mehr haben die Menschen das Gefühl, man könne alles wieder zusammenflicken und dann werden sie unvorsichtig und setzen sich allen möglichen, lächerlichen Gefahren aus. Erst vor zwei Wochen ist mir Bruder Michael quasi unter den Händen weggestorben. Innere Blutungen. Konnte nichts machen.“

Aramis starrte Mathias an, als habe er sich vor seinen Augen in einen Schmetterling verwandelt. „Danke, Bruder. Dann bin ich wohl in den besten Händen.“ Selbst Fieber konnte seine Spottlust offenbar nicht dämmen.

Mathias war zu gutmütig um Sarkasmus zu bemerken. „Ich werde tun, was ich kann. Ich werde Euch gleich mal gründlich untersuchen“, versprach er eifrig.

Aramis warf Constance einen halb besorgten, halb belustigen Blick zu. „Und er soll mich also wieder gesund machen?“, fragte er zweifelnd und klang wie ein ängstliches Kind, nicht wie ein gestandener Musketier.

Sie hauchte ihm einen Kuss auf den Scheitel. „Er ist ein guter Arzt“, sagte sie leise.

„Constance…“

„Ja, Aramis?“

„Ich mag Fieber haben. Aber selbst ich sehe, dass dieser Kerl sich ein Kissen um den Hintern geschnallt hat.“

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„Ich verstehe das nicht. Wenn sie die ganze Zeit ein Alibi hatte, wieso hat sie dann all die Lügen erzählt?“, fragte Porthos, noch immer fassungslos über so viel Bosheit.

„Dann wäre doch aufgeflogen, dass sie mit zwei Männern gleichzeitig verlobt war. Und dann dachte sie wohl, wieso ihr eigenes Leben ruinieren, wenn sie auch ein anderes in den Abgrund stürzen kann.“ Athos schwang sich in den Sattel und warf noch einen letzten angeekelten Blick auf das herrliche Anwesen.

Porthos umfasste die Zügel so fest, dass seine Fingerknöchel weiss hervortraten. „Und nur weil sie ihr schmutziges Geheimnis bewahren wollte, hat sie Aramis dem Tod geweiht.“

D’Artagnan fühlte wie Porthos und hatte sich nur schwer davon abhalten können, Ellen windelweich zu prügeln. Aber auf eine Art bekam sie ihre Strafe. Alain war alles andere als erbaut über die Enthüllungen gewesen. Er hatte die Musketiere um Verzeihung gebeten, sie persönlich hinausbegleitet und ihnen versichert, dass Ellen nicht so einfach davonkommen würde. Dennoch wäre es bei weitem befriedigender gewesen, ihr selbst das Fell über die Ohren zu ziehen.

„Etwas Gutes hat es immerhin: Wenn Ellen zugibt, dass sie gelogen, ist Aramis entlastet. Dann können wir zumindest dieses Versteckspiel sein lassen“, meinte d’Artagnan.

Doch Athos, der alte Miesepeter, schüttelte den Kopf. „Es bleibt die Tatsache, dass er neben der Leiche gefunden wurde. Daraus kann man ihm immer noch einen Strick drehen. Mal ganz abgesehen davon, dass er aus dem Gefängnis geflohen ist. Es ist auf jeden Fall besser, er und Constance bleiben vorläufig noch verborgen.“

Porthos stiess einen schweren Seufzer aus. „Also können wir jetzt wieder von vorne anfangen. Ellen scheidet als Täterin aus.“

Es war wirklich wie verhext. D’Artagnan war so überzeugt gewesen, dass Ellen irgendwie in die Sache verwickelt war. Jetzt konnte sie es gar nicht gewesen sein und Dupont, ihr anderer Verdächtiger, war tot. Man könnte meinen, einen kleinen Mordfall zu lösen, wäre nicht sonderlich schwer für Männer, die sich harte Kämpfe gewöhnt waren. Aber es war schwieriger, jemanden zu entlarven, der sich in den Schatten hielt, als jemanden zu erstechen, der einem mit gezogenen Schwert offen gegenübertrat.

Plötzlich sah d’Artagnan wie ein feines Lächeln über Athos‘ düsteres Gesicht glitt. „Einen Hinweis hat Ellen uns allerdings gegeben. Sogar einen sehr wichtigen Hinweis.“

„Und welchen?“, fragten Porthos und d’Artagnan gleichzeitig.

Athos zog das Medaillon aus der Tasche, das er schon Ellen präsentiert hatte. „Diese Kette gehört nicht ihr. Da stellt sich doch für mich die Frage. Wem gehört sie dann? Mit Gewissheit keinem Mann!“

D’Artagnan begriff schnell. „Du denkst, auch Francis hatte noch eine Geliebte?“

„Ja. Und ich denke, dass diese geheimnisvolle Geliebte der Schlüssel zur Lösung dieses Mordfalles ist!“       

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Damals, als Constance Bruder Mathias das erste Mal hatte holen lassen, um ihren Mann von einer schlimmen Erkältung zu heilen, hatte sie den Mönch erst für eine Witzfigur gehalten. Er hatte ihr einen äusserst seltsamen und beängstigenden Vortrag über Erkältungen gehalten, danach hatte er sie gezwungen ein eiskaltes Bad zu nehmen, um der Gefahr einer Ansteckung vorzubeugen, wie er sagte. Er selbst hatte sich etwa zehnmal die Hände gewaschen, bevor er sich überhaupt ihrem Mann genährt hatte. Constance war kurz davor gewesen ihn aus dem Haus zu werfen. Dann hatte sie gesehen, wie liebevoll und kundig er sich um den Kranken gekümmert hatte und ihr war klar geworden, dass er trotz seiner Ängstlichkeit – oder vielleicht auch wegen – ein guter Arzt war.

Dasselbe dachte sie, als sie zusah, wie er sich um Aramis kümmerte. Bevor er überhaupt angefangen hatte ihn zu untersuchen, hatte er sich auf die Bettkante gesetzt und leise mit dem Musketier gesprochen. Bereitwillig – was wohl auf seinen geschwächten Zustand zu schieben war – hatte dieser Auskunft gegeben und seine Beschwerden geschildert. Mathias‘ Gesichtsausdruck verriet nichts über seine Gedanken, auch nicht als er Aramis‘ Stirn fühlte und nach dem Puls tastete. Das alles tat er mit grosser Sanftheit, so dass sich der Musketier unter seinen geschickten Handgriffen sichtlich entspannte.

Schliesslich schob Mathias Aramis‘ Hemd nach oben und legte das Ohr auf seine entblösste Brust. Aramis gab einen überraschten, keuchenden Laut von sich, liess es aber geschehen. Mathias lauschte, verzog unwillig das Gesicht und richtete sich wieder auf. „Monsieur, ich lass Euch jetzt wieder etwas ruhen, während ich Madame Bonacieux das Rezept meines berühmten Fiebertees verrate.“

Er deckte Aramis wieder zu und wollte aufstehen, doch Aramis hielt ihn zurück. „Ihr braucht nicht so zu tun, als sei das eine gewöhnliche Fiebererkrankung. Ich weiss, der Teufel sitzt in meiner Brust.“

Mathias wirkte verblüfft. Wahrscheinlich hatte er einfach nicht erwartet, dass Aramis über medizinische Kenntnisse verfügte. Behutsam legte er die Hand auf die schwarzen Locken. „Wo auch immer der Teufel sitzt: Gott wacht über Euch.“ Und Aramis schlief mit einem friedlichen Lächeln auf dem Gesicht ein.

„Dieses Fieber muss unbedingt runter“, sagte Mathias später zu Constance, als sie gemeinsam in der Küche standen.

Sie schluckte schwer. „Ich weiss. Glaubt mir, ich habe alles versucht, aber es will einfach nicht sinken.“

„Immerhin scheint er klar im Kopf zu sein.“

Wie sehr wünschte sich Constance diese Aussage bejahen zu können. Doch wie sollte Mathias Aramis helfen, wenn sie ihm etwas vormachte? „Nicht immer. Er hat Alpträume und wenn er aufwacht, ist er verwirrt und bringt alles durcheinander. Und wenn er ganz bei sich ist, ist er einfach erschöpft.“

„Hm.“

Constance fasste sich ans Herz. Auch wenn sie die Wahrheit fürchtete, sie musste das jetzt wissen. „Bruder Mathias, sagt es mir: Was fehlt ihm?“

Bruder Mathias sah aus, als wäre er am liebsten überall nur nicht hier bei ihr. Aber er wagte es nicht, wieder auszuweichen und sagte einfach: „Ich denke, Monsieur Aramis hat eine schwere Lungenentzündung.“

Lungenentzündung. Constance schloss langsam die Augen, als könne sie damit die Tatsache aussperren. Lungenerkrankungen waren immer schlimm und bei Aramis schien sie schon weit fortgeschritten zu sein. Die Verzweiflung klammerte sich um ihr Herz. Das durfte nicht sein. Er durfte nicht sterben, nicht wegen einer solchen dummen Krankheit. Aramis war ein Mann, der im Kampf fallen musste, Seite an Seite mit seinen Brüdern. Dahinzusiechen in einem Krankenbett, das konnte nicht sein Schicksal sein.

„Aber er wird doch wieder gesund? Ihr könnt ihn wieder gesund machen? Ich meine, an einer Lungenentzündung stirbt man doch nicht gleich!“ Sie hörte selbst, wie kläglich das klang.

Unglücklicherweise war Bruder Mathias nicht gerade die hoffnungsvollste Person. „Oh, leider sterben viele Menschen an einer Lungenentzündung! Es ist eine äusserst tückische Krankheit. Vor ein paar Monaten ist einer unserer Brüder daran erkrankt“, erzählte er eifrig, „und ich habe einige neue Behandlungsmethoden ausprobiert, um ihn zu retten.“¨

„Und er hat überlebt?“

„Nein, er ist gestorben. Ging am Ende ziemlich schnell.“

Constance brach in Tränen aus. Bruder Mathias sah sie erstaunt an, bis es ihm zu dämmern schien, dass diese Geschichte keineswegs eine beruhigende Wirkung hatte. Sichtlich überfordert mit ihr, tätschelte er ihr hilflos die Schulter. Die schüchterne Geste hatte so etwas Rührendes, dass Constance trotz ihrer Tränen lächeln musste.

„So war das nicht gemeint, Madame Bonacieux! Das war ungeschickt ausgedrückt, ich wollte damit nur sagen, dass ich durchaus Erfahrung habe, was Lungenentzündungen betrifft. Wisst Ihr, der erkranke Bruder war alt und schwach, Aramis dagegen ist ein junger, kräftiger Soldat, der sich Entbehrungen gewöhnt ist. Ich denke wirklich, dass wir eine gute Chance haben, diesen Kampf zu gewinnen!“

Sie schenkte ihm ein tränenverschmiertes Lächeln. „Ich darf also hoffen?“

„Hoffen dürft Ihr immer, Madame Bonacieux. Denn so lange es einen Gott gibt, wird es immer Hoffnung geben.“

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Anmerkung: Ich bin ja nicht gerade ein Genie was die Lebensumstände dieser Zeit betrifft, aber ich habe nachgeschlagen und offenbar haben die Menschen sehr früh geschnallt, was eine Lungenentzündung ist und ihr auch ziemlich schnell diesen Namen gegeben. Also dachte ich, dass Bruder Mathias getrost die ominöse Krankheit benennen darf.