Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Was der Tote verbarg

Kapitel 17

 

Was der Tote verbarg

 

Porthos hatte ein schlechtes Gewissen. Seit Aramis im Gefängnis gelandet war, hatte er Adelina kaum gesehen, geschweige denn gesprochen. Sie musste sich vernachlässigt  fühlen. Gewiss war sie sich von ihren früheren Liebhabern ganz etwas anderes gewöhnt. Sie war schön, sie war reich, sie war exotisch. Und was war er? Ein Musketier, der von der Hand im Mund lebte und sich noch dazu ständig in irgendwelche Intrigen verwickelte.  Und in den letzten Tagen sogar recht viel Zeit mit seiner Jugendliebe verbracht hatte.

Adelina wirkte allerdings keineswegs wütend, als sie auf ihn zukam. Im Gegenteil. Sie raffte ihre Röcke, rannte auf ihn zu und warf ihm jubelnd die Arme um den Hals. Verblüfft, aber erfreut drückte er sie an sich und hob sie hoch. Erst jetzt, als er das Gesicht in ihren Locken vergrub und ihren Duft einsog, wurde ihm bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte.

 

Sie lösten sich schweratmend voneinander. „Lange nicht gesehen, Fremder.“

„Es tut mir leid, ich…“ begann Porthos, aber Adelina legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen  und hakte sich bei ihm unter.

„Lass uns ein Stück gehen. Dann kannst du mir alles erzählen.“

Es war ein schönes Gefühl nach all den Toten, Verschwörungen und der ständig nagenden Sorge um Aramis, mit Adelina am Arm durch den prächtig angelegten Garten des Palastes zu spazieren. Sie hörte ihm geduldig und mit angehaltenen Atem zu. Als er ihr von Ellens dreisten Lügen erzählte, schüttelte sie fassungslos den Kopf und sagte verächtlich. „Wie konnte sie nur! Und den armen Aramis wollte sie opfern, nur damit sie reich heiraten konnte? Was für ein Miststück!“

„Eine Dame von hoher Geburt sollte nicht solche Wörter in den Mund nehmen“, zog er sie auf. Aber sein Herz lachte, bei dem Gedanken, dass sich Adelina so empörte, obwohl sie Aramis nicht kannte und ihm ihr Schicksal eigentlich egal sein konnte. Sie litt mit Aramis, weil sie mit Porthos fühle. Es schien, als habe er wirklich einen Goldschatz gefunden und so schnell würde er ihn nicht mehr loslassen.

Adelina knuffte ihm spielerisch in die Seite. „Aramis‘ Flucht hat sich allerdings schon herumgesprochen. Der Kardinal ist das Ziel des ganzen Hofspottes. Wo habt ihr Aramis eigentlich hingebracht?“

„In Sicherheit“, antwortete Porthos knapp. Er wollte es nicht riskieren, hier so nahe am Palast den Aufenthaltsort seines Freundes preiszugeben. Der Kardinal hatte seine Ohren und Spione überall, selbst draussen im Garten. Und auch wenn Tréville mit Richelieu so etwas wie eine Übereinkunft getroffen hatte, traute Porthos dem roten Herzog nicht über den Weg.

Adelina bedachte ihn mit einem prüfenden Blick. „Du machst dir Sorgen.“

„Und woran erkennst du das?“

Sie blieb abrupt stehen und hob sich auf die Zehnspitzen. „An der Falte. Hier direkt über deiner Stirn.“ Sie fuhr mit dem Finger darüber und Porthos spürte ein leises Erschauern. Er fing ihre Hand behutsam ein und hielt sie fest umklammert, als er sie küsste. Schnell zog sie ihn hinter einen Baum, um etwas besser geschützt vor den neugierigen Blicken zu sein. Ihre feurigen Lippen auf den seinen verjagten für einen Moment jeden Gedanken an Aramis, Ellen und Francis. Er drängte sie an den Baum, schob gleichzeitig ihre Röcke hoch, um über die weiche Haut ihrer Schenkel zu streichen. Sie erbebte unter seinen Berührungen, schob dann aber seine Hände weg und umschlang stattdessen mit beiden Beinen seine Hüfte, als sei sie eine Katze und keine ausgewachsene Frau. Obwohl sie keineswegs schwer war, gab Porthos ein dramatisches Stöhnen von sich und liess sich mit ihr ins Gras fallen. Sie gab ein empörtes Kreischen von sich, hörte aber nicht auf ihn zu küssen.

Zu gerne hätte er sie hier und jetzt ausgezogen. Sie war so schön, wie sie da auf ihn kniete mit ihrem roten Haar, das sich aus der sorgfältig hochgesteckten Frisur löste und ihren blitzenden Augen. Sie fühlte sich so gut an, ein warmer, bebender Körper, der sich so perfekt an ihn schmiegte, als gehöre sie ganz dahin. Sie roch so gut, nach Asche und Rosenblättern, eine Geruchsmischung, die er so noch nie bemerkt hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit dazu. Jederzeit konnte jemand vorbeikommen und auch wenn Louis nicht gerade ein sittenstrenger König war, ein Musketier, der sich am helllichten Tag im königlichen Garten mit einer Hofdame vergnügte, würde ihm wohl kaum gefallen. 

Und Aramis brauchte ihn.

Also löste Porthos behutsam den Kuss. Adelina rollte sich mit in einem enttäuschten Seufzer von ihm und blieb ausgestreckt im Gras liegen. Ihr rotes Haar lag da wie ein Fächer und Porthos strich bewundernd und zugleich entschuldigend über die seidige Pracht. „Es ist nicht fair, wenn du aufhörst, sobald es richtig Spass macht“, schmollte sie.

Er wickelte sich eine ihrer Locken um den Finger. „Ich muss dich etwas fragen, Adelina.“

Sie hob die Brauen. „Mach mir jetzt bitte keinen Heiratsantrag. Du weisst, mein Vater würde mich umbringen, wenn ich einen Franzosen heiraten würde.“

Porthos lachte. „Nein. Es ist leider etwas viel weniger Romantisches. Kennst du diese Kette?“ Er kramte in seiner Tasche nach der Kette, die Athos ihm übergeben hatte. Sie waren sich einig gewesen, dass Francis‘ Geliebte wahrscheinlich dieselbe geheimnisvolle Person war, die den Kardinal und Tréville überfallen hatte. Und weil diese wahrscheinlich bei Hof lebte, bestand die Möglichkeit, dass Adelina das Schmuckstück erkannte.

Eine geringe Möglichkeit. Aber sie war immerhin da.

Und tatsächlich. Als Porthos Adelina die Kostbarkeit zeigte, schnappte sie hörbar nach Luft und griff danach. „Woher hast du die?“, fragte sie, während sie sich aufrichtete und die Kette nachdenklich durch ihre Finger gleiten liess.

„Die fanden wir am Tatort. Du weisst schon. Dort wo Francis getötet worden ist. Wir dachten erst sie sei von Ellen aber…“

„Nein, das ist nicht von Ellen“, unterbrach ihn Adelina, „ich kenne diese Kette. Sie gehört einer meiner Zofen und zwar Fleur Delacroix.“

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„Wisst Ihr, wenn Ihr mögt, könnt Ihr auch gerne hier übernachten. Ihr scheint ja einen Narren an meinen Leichen gefressen haben“, begrüsste der Leichenfledderer Duval sie und sein dreckiges Grinsen machte seinen geschmacklosen Scherz noch eine Spur widerlich. In einem stimmte Athos ihm allerdings zu. Sie verbrachten wirklich zu viel Zeit mit Leichen.

„Wir sind hier um Robert Dupont zu sehen“, verlangte d’Artagnan mit jenem Selbstbewusstsein, das ihn so auszeichnete. Athos war froh, dass der Gascogner bei ihm war. Ihm selbst war bei all den vermodernden Leibern um ihn herum furchtbar übel und es machte die Atmosphäre auch nicht gerade angenehmer, dass irgendjemand im Hintergrund schrecklich weinte. Vermutlich ein armer Tropf, der gerade den Verlust eines Angehörigen betrauerte.

Duval kratzte sich am Kopf und Athos verzog angewidert das Gesicht, bei dem Gedanken was wohl alles an diesen schmutzigen Fingernägeln haftete. „Robert Dupont, ein ganz neuer Freund von mir, heute Morgen erst eingetroffen. Noch ganz frisch. Scheint sich aber grosser Beliebtheit zu erfreuen. Ist schon jemand bei ihm.“ Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter in eine der hinteren Kammern.

Als Athos hinter d’Artagnan eintrat, entdeckte er auch den Ursprung der verzweifelten Schluchzer, die im ganzen Keller widerhallten. An der Seite des aufgebahrten Duponts sass ein zusammengesunkener Mann, der sich die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte. Der Anblick war herzzerreissend, auch wenn Athos nicht recht nachvollziehen konnte, wie sich ein erwachsener Mann dermassen von seinen Gefühlen mitreissen lassen konnte. Es war ihm peinlich, jemanden in einem solchen Zustand sehen zu müssen.

D’Artagnan kannte eine solche Scham jedoch nicht. Mitfühlend legte er dem Mann die Hand auf die Schulter. Dieser fuhr erschrocken herum, als hätte ihn eine Tarantel gestochen. Und im tanzenden Schein der Fackeln erkannte Athos das Gesicht von Monsieur Lefèvre, dem Wirten der „Fröhlichen Gans.“ Ohne seine schrille Kleidung wirkte er ungewöhnlich blass und auch die Tränenspuren, die sich auf seinen Wangen abzeichneten passten nicht zu dem sonst so lebensfrohen Mann.

Athos öffnete den Mund zur Begrüssung, da stand Monsieur Lefèvre auch schon auf und drängte sich beinahe grob an ihnen vorbei. Verwundert blickte Athos ihm nach. Er kannte Lefèvre als geschwätzigen, gar überdrehten Wirten, der ihn auf der Strasse sonst immer mit lautem Hallo begrüsste, auch wenn Athos es meist nach Kräften vermied sein Lokal aufzusuchen. Dass er jetzt so fluchtartig das Weite suchte, kam ihm mehr als seltsam vor.

„War das nicht der Wirt von Aramis‘ Lieblingslokal?“, fragte d’Artagnan und starrte dem Mann hinterher.

„Doch“, bestätigte ihm Athos, „scheint sehr zu trauern.“

D’Artagnan saugte nachdenklich an seiner Unterlippe. „Hm. Fast ein bisschen zu sehr.“

Athos blickte ihn überrascht an. Das klang, als habe der Gascogner einen seiner berühmten Geistesblitze. „Was willst du damit sagen?“

Sein Freund zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Ach, eigentlich nichts Bestimmtes. Aber wenn ich überraschend das Zeitliche segnen würde, würde der Wirt meiner Lieblingskneipe nicht weinend an meiner Totenbahre sitzen.“

„Doch. Aber wahrscheinlich würde er all den Rechnungen nachweinen, die dann niemals beglichen werden würden“, lächelte Athos. Dennoch hatte d’Artagnan Recht. Robert und Lefèvre schienen ein weitaus engeres Verhältnis zueinander gehabt zu haben, als bisher angenommen. Jetzt gab es aber anderes, um das sie sich kümmern musste.

„Duval! Kommt doch mal her“, sagte Athos mit jener Autorität in der Stimme, die sein Vater ihm als Kind eingebläut hatte.

Der Leichenbeschauer schlurfte zu ihnen. „Womit kann ich Euch dienen?“

„Erzählt doch mal etwas über Euren Gast.“ Athos deutete mit dem Kinn auf Roberts toten Leib.

Duval grinste wie eine sattgefressen Katze. Er liebte es über Leichen zu erzählen. Beinahe zärtlich sah er auf den starren Körper hinab, der bereits so erkaltet war, dass er nichts mehr Menschliches an sich hatte. Beinahe zärtlich strich Duval über den dunklen Haarschopf, fuhr dann mit dem Finger über die Wange und landete schliesslich beim Hals. Athos wurde mit einem Mal so flau im Magen, dass er sich an d’Artagnans Arm klammern musste, um nicht einzuknicken.

Duvals Hand streichelte die Würgemale. „Nun, der Mann wurde eindeutig erwürgt. So viel kann ich Euch sagen.“

„Ach ja? Das ist uns gar nicht aufgefallen“, sagte d’Artagnan sarkastisch.

Duval ignoriere seinen Einwand. „Abgesehen davon, dass er nicht mehr sehr lebendig ist“, er kicherte albern über seinen eigenen Witz, „ist dieser Mann in einem körperlich sehr guten Zustand. Allerdings ist etwas merkwürdig. Ich habe mir das Seil angesehen, dass er um seinen Hals hatte. Es war ein breiter, grob gearbeiteter Strick, nicht wahr?“

 Jetzt hoben d’Artagnan und Athos gleichzeitig die Schultern. „Wir haben den Strick nicht gesehen“, räumte Athos ein. Zum Glück. Auch wenn er es Porthos wahrlich nicht gönnte, dass er diesen grausigen Fund hatte machen müssen, war er doch froh, dass ihm selbst dieser Anblick erspart geblieben war.

„Dann werde ich ihn Euch mal zeigen.“ Duval verschwand und tauchte kurz darauf mit einem geflochtenen Strick in der Hand wieder auf. Er legte es dem Toten um den Hals. „Fällt den Herren irgendetwas auf?“

D’Artagnan und Athos beugten sich vor. Erst verstand Athos nicht, was Duval meinte, doch dann sah er es. Die Wundmale an Roberts Hals passten nicht zu dem Strick. Sie waren schmal, der Strick jedoch war sehr breit. Auch d’Artagnan kam zu dieser Schlussfolgerung. „Was auch immer Robert umgebracht hat. Es war nicht dieses Seil.“

Athos richtete sich auf. „Nein. Und ich wette, er hat sich auch nicht selbst das Leben genommen. Wir haben es mit einem weiteren Mord zu tun.“

Duval liess ein unpassendes Lachen hören. „Nun, wem wohl als nächstes die Stunde schlägt?“, unkte er.

Das fragte Athos sich allerdings auch. Und er konnte nur beten, dass es keinen seiner Freunde treffen würde.

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Constance erwachte jäh aus ihrem Schlummer. Erschrocken hob sie den Kopf. Eigentlich hatte sie sich nur kurz setzen wollen, aber die Erschöpfung war übermächtig gewesen. Sie war am Küchentisch eingeschlafen. Seufzend rieb sie sich den schmerzenden Nacken und stand auf. Der harte Stuhl war nur bedingt als Schlafplatz geeignet und sie fühlte sich noch ausgewrungener als vor ihrem kurzen Nickerchen.

Ein gellender Schrei aus Aramis‘ Schlafzimmer riss sie aus ihrer Lethargie. Voller Angst raffte sie ihre Röcke  und eilte aus der Küche. Sie hatte den kranken Musketier in der Obhut von Bruder Mathias gelassen, in dem Wissen, dass er bei dem überbesorgten Mönch in besten Händen war. Jetzt war sie sich da allerdings nicht mehr sicher.

Ausser Atem stürzte sie in das Zimmer. Bruder Mathias hatte beide Hände auf Aramis‘ heftig zitternde Schultern gelegt und sprach beruhigend auf ihn ein. „Alles ist gut, Monsieur. Ihr seid in Sicherheit. Wir kümmern uns um Euch.“ Seine Stimme klang sanft und einlullend, dennoch stiess Aramis ihn von sich. „Wo bin ich? Was wollt Ihr von mir?“, fragte er hustend, während er schützend den Arm um sich legte.

Ganz offensichtlich war er im Delirium und Constance brauchte erst gar nicht seine Temperatur zu prüfen um zu wissen, dass das Fieber noch gestiegen war.

„Ihr seid bei Madame Bonacieux. Ihr seid krank, Aramis. Ihr solltet versuchen zu schlafen“, erklärte Mathias freundlich.

Aramis wirkte noch verwirrter. „Madame Bonacieux?“ Seine Stimme war verwaschen vom Fieber und vom vielen Husten.

Constance trat zu ihm. „Ich bin es, Aramis. Constance. Wir sind zusammen geflohen. Aus dem Gefängnis. Weisst du nicht mehr?“ Sie legte ihm die Hand auf dem Arm. Aramis starrte sie lange an, seine Brust hob und senkte sich so heftig, dass sie fürchtete er könnte ersticken. Dann jedoch flackerte Erkennen in seinen fiebrigen Blick auf. „Constance. Wo ist Porthos?“

In seiner Stimme klang ein so flehender Unterton mit, dass es Constance schier das Herz zerreissen wollte. Und wie sehr wünschte sie sich, Aramis‘ Freunde wären hier um ihn beistehen zu können. Athos wäre eine sichere Präsenz am Krankenbett und selbst im Fieber würde Aramis auf ihn hören. D’Artagnan würde mit seiner unerschütterlichen Fröhlichkeit die Hoffnungslosigkeit, die sich mit jeder Stunde mehr in das Krankenzimmer einschlich, vertreiben. Und Porthos wäre die Stütze, die Aramis in seiner Verwirrung so dringend gebraucht hätte. Aber sie waren nicht hier. Sie war alleine.

„Porthos ist in Paris. Mit d’Artagnan und Athos. Sie versuchen den wahren Mörder von Francis zu finden. Damit du schnell nachhause kannst.“

Das hätte sie lieber nicht gesagt. Aramis stiess einen Schrei aus und riss sich von Mathias, dessen Hände noch immer auf seinen Schultern ruhten, los. „Nein! Er muss da weg, Paris ist gefährlich für ihn! Paris hat Francis umgebracht“, stammelte er und packte Constance am Handgelenk.

„Niemand wird Porthos etwas tun, Aramis. Du kennst ihn doch, unser guter Porthos ist wie ein Fels in der Brandung: unerschütterlich. Ausserdem sind d’Artagnan und Athos bei ihm. Sie werden ihn beschützen!“ Sie redete mit Engelszungen, aber sie begriff schnell, dass Aramis kein einziges Wort von dem verstand, was sie von sich gab. Das Fieber hatte ihn zu fest im Griff.

„Porthos“, murmelte Aramis hektisch, „ich muss zu Porthos!“ Mit plötzlich aufflammender Energie warf er die Decke von sich und schwang seine Beine aus dem Bett.

„Das würde ich lieber lassen“, rief Bruder Mathias alarmiert, „in Eurem Zustand ist das unverantwortlich und…“

Bruder Mathias kam nicht mehr dazu, Aramis über die Gefahren des zu frühen Aufstehens aufzuklären. Der Musketier knickte ein, kaum hatten seine Füsse den Boden berührt. Constance und Mathias griffen zwar noch nach ihm, aber es gelang ihnen nur den Sturz etwas abzumildern. Aramis sackte zusammen, wie eine Puppe deren Fäden man durchtrennt hatte.

„Dummer Junge“, tadelte Mathias ärgerlich, als sie sich gemeinsam abmühten ihn wieder ins Bett zu hieven. Als sie ihn wieder unter die Decke gepackt hatten, strich Constance ihm über die fiebrig gerötete Wange. Aramis wandte stöhnend den Kopf auf die andere Seite. „Porthos“, wimmerte er.

Sie lehnte ihre kühle Stirn gegen seine brennend heisse. „Alles wird gut“, flüsterte sie, wie sie es ihm wohl schon tausendmal versprochen hatte. Diesmal glaubte sie aber selbst nicht mehr so recht daran. Aramis war ein Kämpfer. Diesen Kampf jedoch, den Kampf gegen diese tückische Krankheit drohte er zu verlieren. Und sie war dazu verdammt, ihm dabei zuzusehen.

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 „Und jetzt soll dieser brave gute Mann tot sein!“

D’Artagnan trat unruhig von einem Fuss auf den anderen. Duponts Vermieterin, eine freundliche alte Dame, die auf den klangvollen Namen Madame Fioretti redete ununterbrochen seit sie ihr die Todesnachricht gebracht hatten. Sie beschrieb ihnen Roberts Charakter in glühenden Farben und nach ihrer Schilderung war Dupont so etwas wie ein zweiter Jesus.

Athos wurde jetzt ebenfalls ungeduldig. „Madame Fioretti, wir würden uns gerne die Wohnung von Robert ansehen. Vielleicht finden wir Hinweise auf seinen Mörder.“

Madame Fioretti riss die Augen auf. „O mein Gott! Was wenn der Mörder hierherkommt?! Möglicherweise bin ich in Gefahr!“

„Das wage ich zu bezweifeln“, entgegnete Athos trocken, „ich denke, Ihr habt nichts zu befürchten.“

Madame Fioretti schien jedoch nicht überzeugt zu sein. Sie klammerte sich an Aramis‘ Ärmel, als sei er ihre Rettungsleine. „Wenn diese Mörder selbst vor einem so lieben Mann wie Robert Dupont nicht Halt machen, sind sie auch imstande eine alte Dame zu ermorden!“, ereiferte sie sich und zerrte so heftig an dem Ärmel, dass Athos beinahe vornüber kippte.

Auch wenn es durchaus amüsant war, zuzusehen wie die resolute Dame Athos partout nicht aus ihren Klauen lassen wollte, erbarmte sich d’Artagnan schliesslich. Immerhin waren sie hier um nachzuforschen, nicht um alte Damen ihre übertriebenen Ängste zu nehmen. Also beschloss d’Artagnan die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. „Madame Fioretti, glaubt mir, wir werden persönlich für Euren Schutz sorgen. Unser Athos wird sich gerne Nacht für Nacht unter Euer Fenster stellen um die bösen Buben daran zu hindern, in Euer Haus zu dringen.“

„Wird er?“, fragte Madame Fioretti begeistert.

„Werde ich?“, echote Athos ungläubig.

D’Artagnan schlang ihm gönnerhaft den Arm um die Schulter. „Unser Athos macht nicht gerne viel Aufhebens, aber er ist ein wahrer Held! Sie werden ihn gar nicht bemerken, so unauffällig wird er Wache halten.“

Bei Athos fiel endlich der Groschen. Galant lüftete er seinen Hut. „Madame, ich versichere Euch meines ewigen Schutzes. Ihr könnt Euch also ganz beruhigt zurückziehen“, säuselte er und setzte seiner Darstellung noch die Krone auf, indem er ihre Hand küsste. Sie errötete wie ein junges Mädchen und dankte ihnen überschwänglich. Erst dann gab sie endlich die Tür zu Duponts Wohnung frei.

„Du hast eine unglaubliche Wirkung auf Frauen, mein Freund“, grinste d’Artagnan, während sich Athos damit abmühte die Tür aufzuschliessen.

„Ich habe schliesslich vom Besten gelernt“, knurrte Athos, „verflucht, diese Tür klemmt. Offenbar will das Schicksal uns hindern diese Wohnung zu betreten!“

„Von mir?“, erkundigte sich d’Artagnan unschuldig und stemmte sich mit der Schulter gegen die Tür, die allerdings noch immer keinen Wank tat.

Athos bedachte ihn mit einem fast schon mitleidigen Blick. „Du bist ein gelehriger Schüler, aber es wird wohl eine Weile dauern bist du unserem Aramis in dieser Kunst das Wasser reichen kannst. Warum geht denn dieses blöde Ding nicht auf?“ Athos rüttelte ungeduldig an der Klinke.

„Ich werde fleissig weiterüben“, versprach d’Artagnan, „und jetzt werde ich dir helfen diese Tür zu öffnen, alter Mann.“ Und er trat ohne viel Federlesen die Tür ein. Jetzt verstand er auch, warum seine Freunde immer gerne zu diesem Mittel griffen um sich unerlaubt Zutritt zu verschaffen. Es machte richtig Spass.

 „Und wie erklären wir der guten Madame Fioretti, dass ihre Tür jetzt nicht mehr ganz funktionsfähig ist?“, fragte Athos mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Schieb es auf die bösen Männer vor denen du sie beschützen sollst“, stichelte d’Artagnan, als sie Seite an Seite endlich die Wohnung betraten.

Zuerst fiel d’Artagnan die Peitsche auf, die an der gegenüberliegenden Wand hing, direkt neben einem grossen Kreuz. Athos und d’Artagnan tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Offenbar hatte Robert in seiner Religiosität durchaus auch mal zu Selbstbestrafung gegriffen. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, machten sich die beiden Freunde daran die Wohnung zu durchsuchen. Erst fühlte d’Artagnan sich unwohl dabei in fremden Sachen zu wühlen, aber dann schob er seine Bedenken beiseite. Robert würde es wohl kaum mehr stören. 

Dupont schien penibel auf Ordnung geachtet zu haben. Das Geschirr stand fein säuberlich gestapelt in den Schränken, die Bücher im Regal waren nach Grösse geordnet, das Bett war so ordentlich gemacht, wie es d’Artagnans noch nie gewesen war. D’Artagnan durchsuchte Roberts Kleiderschrank, fand aber nichts Aussergewöhnliches. Dann sah er sich die Bücher durch. Viel Interessantes war nicht dabei. Theologische Schriften, mehrere Fassungen der Bibel…der Mann schien ganz für seinen Glauben zu leben.

„d’Artagnan?“ Athos trat in das Zimmer, ein Bündel Briefe  in der Hand.

„Hast du was gefunden?“

Athos entfaltete einen der Briefe. „Sogar etwas sehr Interessantes. Hör dir das mal an: Jeden Moment, den ich getrennt von dir verbringen muss, ist ein verlorener Moment. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander, statt nur diese flüchtigen, gestohlenen Augenblicke. Ich wünsche, ich könnte dich einfach küssen, ohne das Gefühl zu haben einen Verrat zu begehen. Manche begehren Juwelen oder Gold, für mich ist jedoch ein einziger Blick aus deinen schönen Augen mehr wert, als alle Schätze der Welt zusammen.“

Das klang wie etwas, das eine ziemlich romantisch veranlagte Dame geschrieben hatte. Vermutlich waren die Briefe sogar noch parfümiert. „Ein Liebesbrief. Ein ziemlich schmalziger Brief, nebenbei gesagt. Was ist daran so interessant?“

 „Du musst es dir schon zu Ende anhören: Wäre ich nur eine Frau und du ein Mann, die Welt würde uns gehören. In ewiger Liebe, dein Pierre.“

„Robert liebte also einen Mann.“ Bei näherer Betrachtung war das nicht so überraschend, Andeutungen hatte es ja genug gegeben. Dennoch war es etwas anderes es so deutlich in einen Brief zu lesen. D’Artagnan konnte nicht recht nachvollziehen, wie man eine Beziehung mit einem Mann haben konnte und ein Teil von ihm, verurteilte dies auch. Gott hatte schliesslich Mann und Frau geschaffen. Alles andere erschien ihm unnatürlich. Was d’Artagnan jedoch sehr wohl nachvollziehen konnte, war der Schmerz einer unerfüllten Liebe. Unwillkürlich empfand er Mitleid, als er diese in Verzweiflung geschriebenen Zeilen hörte.

Athos nickte langsam. „Es scheint so. Was seiner priesterlichen Karriere eher hinderlich gewesen wäre. Doch es gibt noch etwas Interessantes: Du weisst es vielleicht nicht aber der Vorname des Wirtes Lefèvre lautet Pierre.“

D’Artagnan stiess einen Pfiff aus. „Dann war Dupont also…“

 

„Ja. Robert Dupont war der Geliebte von Pierre Lefèvre.“

 

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