Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Die Unzertrennlichen

Kapitel 21

 

Die Unzertrennlichen

 

Porthos musste allerdings zugeben, dass sich die Sonne ziemlich Zeit liess. Es wurde eine fürchterliche Nacht. Mal wand sich Aramis in wirren Fieberträumen auf seinem Krankenlager und hustete sich die Seele aus dem Leib. Aber beinahe schlimmer war es, wenn er wie tot dalag, wenn seine sich unregelmässig senkende Brust das einzige Zeichen dafür war, dass er noch lebte. Mehrmals griff Porthos in wilder Panik nach Aramis‘ Handgelenk um den Herzschlag zu fühlen, einfach um sich zu versichern, dass er noch lebte.

Mathias und er kämpften mit wilder Entschlossenheit gegen den Feind. Sie umwickelten Aramis‘ Brust mit einer Kräutermischung, wechselten in rasender Eile die nassen Tücher, die sie um seine Beine und um seine Achseln geschlungen hatte. Sie zwangen ihn, Tee und Wasser zu sich nehmen, was kein leichtes Unterfangen war, denn der fiebrige Aramis schien zu glauben, sie wollten ihn vergiften und schlug wild um sich. D’Artagnan und Athos mussten ihn festhalten, während Porthos ihm die Flüssigkeit zuführte.

Als der Morgen kam, waren Porthos und Mathias völlig erschöpft. Aramis dagegen war endlich in einen friedlichen Schlaf gesunken, frei von Husten und schlimmen Träumen. Als Porthos die Hand auf die Stirn legte, hätte er vor Erleichterung am liebsten geschrien. Sein Freund fühlte sich noch immer zu warm an, aber es war bei Weitem nicht die brennende Hitze, die vor ein paar Stunden noch in seinem Körper getobt hatte. „Das Fieber ist gesunken.

„Endlich ein Schritt in die richtige Richtung“, seufzte Mathias und liess sich erschöpft auf einen Stuhl sinken. Porthos rechnete es ihm hoch an, dass er gemeinsam mit ihm die ganze Nacht bei Aramis gewacht hatte. Athos und d’Artagnan waren ebenfalls an der Seite des Bettlägerigen geblieben, aber schliesslich hatte die Müdigkeit gesiegt. D’Artagnan lag, zusammengerollt wie eine Katze im Sessel, während Athos sich einfach auf den Boden ausgestreckt hatte. Constance dagegen hatte sich auf ihr Zimmer zurückgezogen.

Porthos musterte Aramis‘ bleiches, aber friedliches Gesicht. „Wird er es schaffen?“

„Ihr wisst, dass ich das nicht versprechen kann. Wenn wir das Fieber im Griff behalten und wir seiner Atmung helfen können, hat er zumindest eine Chance. Eine grössere Chance, als ich je zu hoffen wagte“, fügte Mathias hinzu. Seine Worte gingen in ein herzhaftes Gähnen über und er blinzelte heftig, als versuche  er verzweifelt, die Schläfrigkeit zu vertreiben.

Porthos legte ihm die Hand auf die Schulter. „Geht, legt Euch hin. Ich werde bei ihm bleiben.“

„Ich kann doch jetzt nicht schlafen! Wir dürfen uns nicht in falsche Sicherheit wiegen lassen, er ist noch lange nicht über den Berg. Ich kannte mal einen Bauern…“

„Ihr nützt niemanden etwas wenn Ihr aus dem Latschen kippt“, unterbrach ihn Porthos, bevor Mathias zu einer weiteren langatmigen Erzählung über eine tödlich verlaufene Krankheit ausholen konnte, „geht, ruht Euch aus. Ich hole Euch, wenn sich etwas verändert.“

Mathias willigte schliesslich ein, ging aber nicht ohne Porthos zu erklären, bei welchen Symptomen er ihn unbedingt wecken müsste (offenbar war bereits ein Zucken des linken Zehs sehr gefährlich). Dann liess der gute Mathias Porthos allein mit seinen schlafenden Waffenbrüdern.

Obwohl er sich zerschlagen fühlte, war an Schlaf nicht zu denken. Was wenn Aramis sich davonschlich, während er ein Nickerchen machte? Die Angst war stärker, als das Bedürfnis sich hinzulegen. So beobachtete er mit Argusaugen jeden Atemzug, registrierte jeden Huster und fühlte immer wieder die Temperatur. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass die lange Nacht ihren Tribut forderte. Er nickte ein, den Kopf neben Aramis‘ Arm gebettet, wobei dessen Atem beruhigend über seine Haut strich.

Ein geflüstertes Porthos weckte ihn aus seinem Schlummer. Als er die Augen öffnete, sah er direkt in die dunklen Tiefen von Aramis. Und zum ersten Mal in diesen dunklen Stunden, sah Aramis ihn wirklich an, mit müden, verhangenen Augen, aber mit einem feinen Lächeln auf dem Gesicht. Er war nicht mehr im Delirium gefangen.

„Schön dich zu sehen“, grüsste ihn Porthos, als käme Aramis von einer langen Mission zurück und nicht, als tauche er aus Fieberträumen auf.

Aramis setzte sich auf. Seine Bewegungen waren langsam und entbehrten der üblichen katzenhaften Anmut, aber immerhin schaffte er es allein. Als er aufrecht im Bett sass, stopfte Porthos ein Kissen in seinem Rücken, was Aramis mit einem dankbaren Lächeln quittierte. „Ich bin wohl gerade nicht die beste Gesellschaft.“ Seine Stimme klang leise und atemlos.

„Du bist immer gute Gesellschaft, Aramis.“

„Lügner.“

Aramis streckte die Hand nach Porthos aus und die Finger der beiden verflochten sich. Einen Moment blieb es still, dann hustete Aramis schwach. „Ich habe mich noch nie so schwach gefühlt“, murmelte er und kuschelte sich in die Decken, als suche er Schutz.

„Du wirst wieder gesund. Ganz bestimmt.“

Sein Freund nickte, starrte dann aber schweigend zur Decke, verloren in zweifellos dunklen Gedanken. Porthos liess seine Hand los, stand auf und beugte sich über den Liegenden, wobei er sich mit den Armen rechts und links auf der Bettstatt abstützte. So konnte er Aramis direkt ins Gesicht sehen. „Du musst bei uns bleiben. Versprichst du mir das?“

Aramis sah ihn lange an, wobei der Ausdruck der dunklen Augen schwer zu lesen war. „Was in meiner Macht steht, werde ich tun“, sagte er endlich, „aber es gibt Dinge, die können wir nun mal nicht beeinflussen.“

Für Porthos klang das alles eine Spur zu melancholisch. „Nicht einmal Gott sollte es mit Porthos und Aramis aufnehmen“, witzelte er und zu seiner Erleichterung verzogen sich Aramis‘ Lippen zu dem vertrauten schelmischen Lächeln, das Porthos so vermisst hatte.

„Ich gebe nicht auf, Porthos“, versprach Aramis, während seine Augen schon wieder zufielen.

Porthos nahm seinen Kopf behutsam in beide Hände und drückte die Lippen gegen die immer noch warme Stirn. „Das ist mehr als ich gestern noch hoffen konnte, mein Freund. Weitaus mehr.“

„Sollen wir rausgehen und euch alleine lassen?“ d’Artagnan war unbemerkt von den beiden aufgewacht und hatte ein anzügliches Lächeln auf dem Gesicht platziert.

„D’Artagnan, es gibt Dinge, für die bist du einfach noch zu jung“, kam eine grollende Stimme vom Boden und Athos‘ zerzauster Schopf tauchte am Bettende auf.

„Ihr zerstört gerade einen sehr innigen Augenblick, ihr Trampel“, murrte Porthos und half Aramis sich wieder gegen die Kissen zu lehnen.

„Verzeihung, wenn wir euch mit unserer groben Anwesenheit belästigen“, frotzelte d’Artagnan und streckte sich ausgiebig, während Athos sich neben Porthos setzte. Seine durchdringenden blauen Augen huschten besorgt über Aramis‘ Körper, registrierte wahrscheinlich die krankhafte Blässe, die sich hektisch hebende Brust und das hohlwangig gewordene Gesicht und kam zu denselben Schluss wie Porthos: Ihr Freund war noch nicht über den Berg.

Dennoch rang sich Athos ein Lächeln ab. „Dir scheint es besser zu gehen.“

Aramis hob die Schultern. „Ich bin…auf jeden Fall mehr bei Sinnen und…“ Der Rest ging in ein schmerzhaft klingendes Husten über, der zum Glück schnell abklang. Dennoch sah Porthos wie Athos eine Spur bleicher wurde und die Hände zu Fäuste ballte, als wolle er die Krankheit aus dem Leib seines Freundes prügeln.

„Mein Grossvater hat besser geklungen als du. Und der hat sich morgens noch vor dem Frühstück eine Pfeife angesteckt und ist abends sogar mit dem Ding ins Bett“, bemerkte d’Artagnan.

Der aufgeräumte Plauderton schien Aramis aufzuheitern. Er lachte, ein kurzer und rauer Klang zwar, aber dennoch war es ein Lachen. „Und? Ist er am Husten gestorben?“

„Tatsächlich ist er verbrannt. Ist eingeschlafen mit der Pfeife im Mund.“

Jetzt lachten alle drei. „Eine bezaubernde Geschichte. Du und Bruder Mathias solltet euch mal austauschen“, japste Porthos, der vor Lachen kaum Luft bekam und sich schon die Rippen hielt. Eigentlich war es gar nicht so witzig, sondern eher tragisch, aber er war so müde, dass er am Rande der Hysterie war.

Als das Lachen verstummt war, meinte Aramis plötzlich: „Ihr solltet nach Paris zurückkehren.“

Das kam mehr als überraschend und Porthos‘ musste nicht lange über eine Antwort nachdenken. „Kommt  gar nicht in Frage!“ Er kannte Aramis zu gut. Er neigte dazu, sich heimlich davonstehlen zu wollen, wenn es ihm zu viel wurde, er neigte dazu, seine Freunde von sich zu stossen, wenn er glaubte, er sei eine Last. Das war Aramis‘ gefährlicher Hang zur Dramatik.

„Ich meine es ernst, Porthos. Es nützt nichts, wenn  ihr euch alle um mein Krankenbett drängt. Ihr müsst den Mörder von Francis finden!“ Porthos hörte den flehenden Unterton in Aramis‘ Stimme und es brach ihm beinahe den Herz. Tatsächlich hatte er selbst in den letzten Stunden kaum an den grausamen Mord gedacht.

„Kannst du dich denn inzwischen wieder an etwas erinnern?“

Porthos wünschte sich, Athos hätte sich diese Frage verklemmt. Er glaubte nicht, dass die Lungenentzündung seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hatte und es war gewiss schmerzhaft für ihn, sich an die furchtbaren letzten Tage zu erinnern, die er entweder im Gefängnis oder im Bett verbracht hat. Tatsächlich stiess Aramis ein leises Stöhnen aus, zog die Beine an und legte den Kopf auf die Knie, wie ein Kind, das sich vor der Wirklichkeit verstecken will.  „Ich weiss nicht mehr“, flüstere er kaum hörbar, „ich weiss es einfach nicht mehr.“

Seine Finger verkrampften sich um die Bettlaken, als wolle er sie in seiner Anstrengung sich zu erinnern zerreissen. Porthos löste sie behutsam von dem weichen Stoff. „Du darfst dich nicht so aufregen. Es ist nicht weiter schlimm, wir finden auch ohne deine Erinnerungen raus, was geschehen ist. Mach dir keine Sorgen!“

„Ich…Ich habe mich an etwas erinnert…Aber ich bringe es nicht mehr zusammen…Das Fieber“, presste Aramis zwischen hektischem Husten hervor. Seine Rippen schienen zu schmerzen, denn er schlang den Arm um seinen Oberkörper und wiegte sich vor und zurück. Porthos verbiss sich einen Fluch. Er hatte ja gewusst, dass es keine gute Idee war, wieder über Francis zu sprechen.

Glücklicherweise schien d’Artagnan der gleichen Meinung zu sein. Er streifte Athos mit einem leicht vorwurfsvollen Blick, bevor er im bestimmten Ton zu Aramis sagte: „Du musst jetzt schlafen und gesund werden.“ Mit sanftem Druck legten sie ihren Freund wieder hin und Aramis schloss die Augen.

Sie glaubten schon, er sei wieder eingeschlafen, als sich seine Lieder wieder hoben und sich sein Blick erstaunlich klar und fest auf seine Freunde richtete. „Ihr müsst ihn finden. Den Mörder von Francis. Das ist wichtig. Nicht um meine Unschuld zu beweisen wie wir anfangs gedacht haben, sondern um ihn davon abzuhalten, es wieder zu tun. Denn er wird weiter morden. Und die einzige Frage die bleibt, ist die, wem die Stunde als Nächstes schlägt.“

Für jedes Wort schien er kämpfen zu müssen und er machte Anstalten, sich wieder aufzurichten. „Bleib jetzt endlich liegen, du Idiot“, grollte Porthos und drückte ihn unnachgiebig in die Kissen.

Aramis wehrte sich schwach. „Geht zurück nach Paris. Ihr müsst sie aufhalten!“

Es bereitete Porthos keine grosse Mühe, das zappelnde Bündel festzuhalten, auch wenn es ihm heftig widerstrebte, seine Kraft gegen seinen besten Freund einzusetzen. „Beruhige dich, Aramis. Ich verspreche dir, es wird alles gut. Wir kümmern uns um alles. Alles was du tun musst ist, wieder gesund zu werden!“

Mit einem lauten Seufzer erschlaffte der Körper in seinen Armen. Porthos betete ihn zurück in die Laken, breitete die Decken über ihn aus und fühlte sowohl Stirn als auch Puls. Der Herzschlag war ruhig und gleichmässig, aber Aramis fühlte sich wieder wärmer an. Das Fieber schien sich wieder aufzubäumen.

Während Porthos Aramis behutsam untersuchte, starrte Athos nachdenklich vor sich hin. „Sie“, sagte er gedankenverloren.

Porthos verstand nicht, ebenso wenig wie d’Artagnan, der verwirrt nachhakte: „Sie?“

„Er hat gesagt: Ihr müsst sie aufhalten! Nicht: Ihr müsst ihn aufhalten. Ich glaube, unbewusst hat Aramis sich doch an etwas erinnert. Nämlich, dass eine Frau hinter allem steckt!“

„Zum Teufel mit den Weibern“, murrte Porthos und Aramis stiess ein leises, zustimmendes Seufzen aus, als habe er jedes Wort verstanden.

 

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„Es ist mir völlig egal, was er sagt! Himmel, er hat im Augenblick das Urteilsvermögen einer betrunkenen Kuh, so fiebrig ist er immer noch. Ich bleibe bei ihm!“ Athos wusste, er würde eher einen Ochsen umstimmen als Porthos. Er hatte denselben Gesichtsausdruck wie damals, als Aramis nach einem Wettstreit mit der Roten Garde von eben jener überfallen worden war. Als Porthos die blauen Flecken gesehen hatte war er mit genau dieser Miene in das Lieblingsgasthaus der Rotröcke marschiert. Was genau im Innern vor sich gegangen war, hatte Athos nie erfahren, aber die Gardisten hatten eine Zeitlang einen grossen Bogen um jeden Musketier gemacht.

„Aber wir sind es Francis schuldig, dass wir herausfinden, warum er sterben musste“, wandte d’Artagnan ein und schob sich ein Stück Brot in den Mund.

Die Musketiere sassen zusammen mit Constance um den reich gedeckten Küchentisch. Die  Dame des Hauses hatte ihnen ein wunderbares Frühstück zubereitet und sogar Athos, der sich eigentlich als sparsamen Esser kannte, langte tüchtig zu. Nach dieser schrecklichen Nacht in der er dazu verdammt gewesen war, den angestrengten Atemzügen seines Freundes zu lauschen, war es geradezu himmlisch, hier in der sonnendurchfluteten Küche zu sitzen und zu schmausen wie die Halbgötter.  

„Francis ist tot und er bleibt es auch, egal wie schnell wir seinen Mörder finden!“, entgegnete Porthos mit einer stahlharten Stimme, die so gar nicht zu ihm passte.

„Die Gründe für Francis‘ Tod reichen tiefer als gedacht. Es ist unsere Pflicht dieser Verschwörung auf dem Grund zu gehen.“

Athos musste Porthos eigentlich nur selten an seine Pflichten erinnern, denn im Gegensatz zu d’Artagnan oder Aramis, die schon einmal ihr Privatleben über ihre Aufgabe stellten, stand der Dienst als Musketier für Porthos immer an oberster Stelle. Für die sanfte Ermahnung erntete er auch sofort einen bösen Blick. „Du kannst es kaum erwarten ihn zu verlassen oder? Wir wissen alle, dass du gerne davonrennst!“

Das tat weh, besonders weil der Vorwurf nicht ganz unberechtigt war. Athos liebte seine Freunde, sie waren seine Brüder, sie waren durch weitaus mehr verbunden, als durch das Blut. Ihr Leid mitanzusehen war für ihn schwerer zu ertragen, als selbst Qualen zu erdulden. Er konnte nicht bestreiten, dass es sehr verlockend war, Aramis den Rücken zuzukehren, nicht weil er Aramis nicht liebte, sondern eben weil er ihn liebte.

Bevor Athos sich eine passende Antwort überlegen konnte, griff Constance ein. „Jungs, streitet euch nicht. Damit helft ihr weder Aramis noch Francis. Die Lösung ist doch ganz einfach: Porthos bleibt zusammen mit mir und Mathias hier, während Athos mit d’Artagnan nach Paris zurückkehrt“, erklärte sie ruhig.

Das klang in der Tat vernünftig, auch wenn Athos die Gruppe ungern noch weiter splitterte. Sie hiessen nicht umsonst die Unzertrennlichen. Und Porthos war mit seiner Kraft und seinem direkten Verstand immer eine wichtige Stütze. Constance schien seine Zweifel zu spüren, denn sie fügte sanft hinzu: „Ich glaube, es wäre unklug, Porthos von Aramis‘ Seite zu reissen. Er braucht ihn. Und er hat immer wieder verzweifelt nach ihm verlangt!“

Porthos wirkte immer noch verstockt und schob den noch immer halbvollen Teller geräuschvoll von sich, wie um zu demonstrieren, dass ihm der Appetit vergangen war. „Meiner bescheidenen Meinung nach gehören wir jetzt an Aramis‘ Seite.“

D’Artagnan spielte nachdenklich mit der Gabel. „Ich denke, es ist auch wichtig, dass wir nach Paris zurückkehren. Schon um Tréville beizustehen. Immerhin ist er jetzt quasi alleine mit einem fuchsteufelswilden Kardinal, einer irren Mörderin und einem von Liebeskummer zerfressenen Wirt.“

„Tréville hat noch andere Musketiere in seinem Dienst. Nicht nur uns!“

Der heftige Ton liess alle zusammenzucken. Abgesehen von d’Artagnan, der mit einem mitfühlenden Lächeln seine Hand auf die seines Freundes legte. „Glaube nicht, dass es uns nicht ebenso schmerzt wie dich, Aramis so zu sehen. Aber wenn wir Francis‘ Mörder finden, dienen wir nicht nur Frankreich, wir entlasten auch ihn. Denks du nicht, es wäre für Aramis‘ Genesung förderlich, wenn er wüsste, dass er zurückkehren kann? In die Stadt, die er liebt, zu der Aufgabe, die er liebt?“

Manchmal beneidete Athos d’Artagnan um seine Fähigkeit immer das Beste aus einer Situation zu machen und auf seine ganz eigene pragmatische Weise die Dinge zu ordnen. Auf jeden Fall beschämten seine Worte Porthos, der betreten den Kopf senkte. „Verzeiht mir, es ist nur…ich hab so eine verfluchte Angst um ihn!“

Athos berührte ihn vorsichtig an der Schulter. „Ich auch Porthos, ich auch. Und du hast Recht. Ich ertrage es kaum. Ich glaube, Aramis braucht jetzt Stärke und Licht und nicht meine Angst und meinen Kummer.“

Porthos lächelte. Es war ein kurzes, grimmiges Lächeln, aber es zeigte Athos deutlich, dass der Streit – geboren aus der Angst um Aramis – wieder beigelegt war. „Dann ist es also beschlossen. Die Unzertrennlichen trennen sich.“

Constance verdrehte die Augen. „Das habe ich ja von Anfang an gesagt, aber ich weiss ja, dass Musketiere gerne alles noch einmal durchkauen und es hinterher als ihre Idee präsentieren!“

Ihr Kommentar brachte ihr einen freundschaftlichen Knuff von d’Artagnan ein. Es war eine spasshafte, nicht ganz ernstgemeinte Geste, dennoch erstarrte Constance und sah ihn mit grossen Augen an. Eine Weile konnte Athos förmlich sehen wie sich die alten Vorwürfe zwischen ihnen aufbauten; bittere Vorwürfe, jedoch getränkt von dieser sehnsüchtigen Liebe, welche die beiden noch immer verband. Dann war der zarte Moment vorbei, Constance sprang wie von einer Tarantel gestochen auf und begann hastig das Geschirr zusammenzustellen, wobei sie Porthos aus lauter Hast die noch volle Tasse aus der Hand riss.

Athos senkte den Blick auf die Tischplatte. Aramis liebte seine Königin, die seine Gefühle zwar erwiderte, jedoch gebunden war an ihren Mann, ihr Land und ihre Pflichten. D’Artagnan und Constance liebten sich von ganzem Herzen, scheiterten aber kläglich an den gesellschaftlichen Konventionen. Er selbst liebte eine Frau, die in ihrer Bosheit selbst dem Teufel Konkurrenz machte. Liebesglück und Musketiere passten offenbar nicht recht zusammen.

Abgesehen von Porthos. Athos streifte diesen mit einem flüchtigen Blick und überlegte, wann wohl auch dessen frühlingsfische Liebe zu Adelina in kalten Winter verwandeln würde.

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d’Artagnan trat hinaus in den Tag und atmete erst einmal tief. Ihm schien es, als fülle er seine Lungen nicht  nur mit Luft, sondern auch mit Leben. Er lebte jetzt schon eine Weile in Paris und er liebte die laute, überfüllte Stadt mit ihren Geheimnissen und Intrigen.  Ein Teil seines Herzens würde jedoch immer am Landleben hängen. Er war ein Bauernkind. Erde unter seinen Füssen, Wind in seinen Haaren, Stallgeruch, der an ihm haftete. Das war seine Welt.

„Es ist schön hier, nicht wahr?“

Constances Schritt war so leicht, dass d’Artagnan nicht bemerkt hatte, wie sie an seiner Seite aufgetaucht war. Gemessen an der Tatsache, dass ihre Gespräche in letzter Zeit ständig in einem Streit mündeten, spannte er sich unwillkürlich an, wie um sich für einen Kampf zu stählen. Doch Constance schien nicht mehr viel daran zu liegen, ihn anzufauchen. Sie stellte sich dicht neben ihn und zog das wollene Tuch, dass sie sich gegen die morgendliche Kühle umgehängt hatte, enger um die Schultern.

„Beinahe zu schön um es schon wieder zu verlassen.“

Eine Weile standen sie einfach Seite an Seite und sahen gemeinsam in die noch stille Landschaft, die sich wie ein endloser Teppich aus Bäumen und Gras vor ihnen erstrecke. So könnte es immer sein, sinnierte d’Artagnan in einem jähen Anfall von Melancholie, so könnte es in ein paar Jahren sein, wenn unsere Kinder noch schlafen und wir uns diese Zeit stehlen, die Zeit als Paar.

Constance riss ihn mit einem Räuspern aus seinen Träumereien. „Es ist unglaublich, wie gut es Aramis tut, dass Porthos bei ihm ist.“

„Wenn Aramis mal krank ist – und dem Herrn sei Dank ist er das selten – wird er ganz krank, verstehst du? Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. All seine Lebensfreude weicht dann von ihm. Und wenn jemand was von Lebenslust versteht, dann ist es Porthos.“

Das immer etwas spitzbübische Lächeln erhellte Constances hübsche Züge, doch ihr Ausdruck wurde gleich wieder ernst. „Es…sein Zustand war wirklich schlimm, d’Artagnan. Ich hatte immer mehr das Gefühl, ich sässe an einem Totenbett. Und er ist immer noch nicht über den Berg.“

„Wieso sagst du mir das? Constance, ich habe ihn auch gesehen. Ich weiss wie ein schwerkranker Mensch aussieht!“, sagte d’Artagnan und klang eine Spur schärfer als beabsichtigt. Aber ihm kam es langsam vor, als führe er heute immer wieder dasselbe Gespräch.

Zu seinem Entsetzen stiegen Constance die Tränen in die Augen. „Verzieh es ist nur…ich…dachte nur die ganze Zeit…dass wenn er stirbt…wenn ich ihn nicht retten kann…dass du mich dann hasst!“

Sie schluchzte so sehr, dass ihre schmalen Schultern bebten und es war ein herzzerreissender Anblick, die sonst so unerschütterliche Constance in einem so aufgelösten Zustand zu sehen. D’Artagnan hätte sie so gerne in den Arm genommen, sie an sich gerissen und schützend umschlungen. Er durfte es nicht und er glaubte auch nicht, dass sie es zugelassen hätte.

Deshalb tätschelte er ihr in Ermangelung einer Alternative hilflos die Schulter. „Constance…bitte weine nicht!“, flehte er.

Das Einzige was er erreichte war, dass ihr Tränenstrom sich noch verstärkte. Und weil er es einfach nicht mehr ertrug, weil er glaubte, an seinem eigenen Herzen zu ersticken, schlang er dann doch die Arme um sie und drückte sie an sich. Ihr vertrauter Körper schmiegte sich an ihn wie ein verlorenes Stück und das Glück, das in seiner Brust aufstieg fühlte sich so herrlich warm an.

„Ich könnte dich niemals hassen“, murmelte er in ihre herrlich duftenden Locken, „ich werde dich niemals hassen. Wenn ich es könnte, wäre mein Leben leichter. Es würde weniger wehtun als dich zu lieben.“

Sie sah ihn mit tränenverschleiertem Blick an. „Das darfst du nicht sagen, d’Artagnan. Um meiner Ehe willen. Auch um deiner selbst willen.“

„Ich muss es sagen. Ich kann nicht anders.“

Viel zu schnell löste sie sich von ihm und wischte sich mit einer ärgerlichen Armbewegung die Tränen aus dem Gesicht. Es gelang ihr nicht ganz, die Wimpern blieben silberverhangen und ihre Stimme klang noch immer gepresst als sie sagte: „Das ist alles nicht richtig. Diese armen, ermordeten Männer, Aramis‘ Krankheit, unsere verbotene Liebe…Das ist doch  nicht fair!“

Nein, das war es nicht.  Sie mussten kapitulieren vor der unumstösslichen Tatsache, dass doch immer jemand anderes die Regeln machte. Und so sehr sie sich auch dagegen sträubten, am Ende mussten sie die Waffen strecken, weil Gott ihre Wege zeichnete. Nur fragte er nicht vorher, ob einem dieser Weg auch gefiel.

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Als sich Athos und d’Artagnan ein paar Stunden später auf ihre Pferde schwangen um den Weg zurück nach Paris anzutreten, zeigte weder der junge Gascogner noch Constance, das sie einen zärtlichen Moment geteilt hatten. Im Gegenteil, sie verabschiedeten sich geradezu kühl voneinander, als schämten sie sich dafür, ihren Gefühlen nachgegeben zu haben.

Deutlich herzlicher fiel der Abschied zwischen Athos und Porthos aus. Porthos trat an das Pferd und legte eine Hand auf Athos‘ Bein. „Pass auf dich und den Jungspund auf!“

„Ach, du weisst ja wie ich und d’Artagnan sind. Wir kommen nie in grosse Schwierigkeiten, subtil wie wir immer vorgehen“, sagte Athos trocken. Dann beugte er sich hinunter und drückte Porthos‘ Hand. „Mach dir keine Sorgen. Dein Kampf ist der härtere als der unsere. Lass ihn nicht gehen, Porthos. Wir brauchen ihn.“

Porthos nickte, ein Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf seinen Zügen. Dann trat er zurück und hob die Hand zum Abschied, während seine beiden Freunde kurz an ihre Hüte tippten, bevor sie ihre Pferde wendeten. Constance und Porthos sahen ihnen lange nach, mit dem Gefühl verlassener Kinder, denen die Obhut des kleinen, kranken Bruder überlassen worden war.

 

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