Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Das Wort der Königin

Kapitel 5

Das Wort der Königin

 

Es gab Momente im Leben, da wünschte man sich nichts sehnlicher als aufzuwachen, einfach, weil die Wirklichkeit so furchtbar war, dass man sich verzweifelt wünschte, es wäre nur ein böser Traum. Aramis hatte bisher wenige solche Momente gehabt, denn er gehörte zu jener Sorte Menschen, die aus jeder Situation irgendwas zu ihren Vorteil drehen konnten. Doch jetzt, als er wie ein Häufchen Elend dasass, die Hand Trévilles fest auf seiner Schulter und zuhören musste, wie Ellen diese Lügen erzählte und sah, wie Richelieu seine Freude kaum noch bezähmen konnte, war dieser Moment auch für ihn gekommen.

Aber es war kein Traum.

Richelieu wandte sich wieder ihm zu. Sein falsches, mitleidiges Lächeln löste eine neue Welle von Übelkeit in Aramis aus. „Monsieur Aramis, was ist an diesem Abend geschehen?“

Da war sie wieder. Die Frage, die er so fürchtete. Er leckte sich mit der Zunge über seine viel zu trockenen Lippen, eine nervöse Geste, für die er sich gleich darauf schämte. „Ich weiss es nicht.“ Es kam ihm vor, als hätte er diesen Satz schon tausend Mal wiederholt, vor seinen Freunden, vor Tréville, vor Richelieu. Und doch schien ihn niemand zu begreifen.

„Ihr scheint auffallend viel nicht zu wissen. Ihr wisst ja auch nicht mehr, dass Ihr mit der Verlobten Eures Freundes ein Verhältnis hattet.“

Aramis würgte seine Übelkeit herunter und versuchte, seiner Stimme ihren gewohnt lässig selbstbewussten Klang  zu geben, als er antwortete: „Ich erinnere mich normalerweise an meine Bettgenossinnen und Ellen gehörte definitiv nicht dazu.“

Richelieu zog seine Brauen zusammen, was ihm das Aussehen eines Falken verlieh, der seine Beute anvisierte. „Ihr erinnert Euch also an nichts?“

„Er wurde niedergeschlagen und kann sich deshalb nicht erinnern. Wie oft muss er das noch sagen?“, fragte Tréville. Aramis war seinem Captain dankbar, dass er ihn so leidenschaftlich in Schutz nahm, aber er wünschte sich, er würde die Stimme ein wenig senken. Wenn er weiterhin so schrie, würde ihm gleich der Schädel platzen.

Der Kardinal ignorierte diesen Einwand gekonnt. Er legte die Fingerspitzen aneinander und liess das Kinn darauf ruhen. „Wenn Ihr Euch an nichts erinnert…Könnt Ihr Euch da denn absolut sicher sein, dass Ihr Euren Freund nicht getötet habt?“

Francis‘ Bild tauchte vor Aramis auf, der lachende, unbeschwerte Francis, der sich Huren auf seinen Schoss zog und gleichzeitig schmalzige Gedichte schreiben konnte. Der Francis, der ihn so oft umarmt hatte, der ihm gezeigt hatte, wie man eine Wunde nähte, der mit ihm über Bücher geredet hatte und so oft mit ihm angestossen hatte. Der jetzt tot und kalt und endgültig fort war, der nie wieder lachen würde, nie wieder mit einer Frau schlafen würde, nie Ellen heiraten würde. Diese Erkenntnis schmetterte ihn mit jäher Wucht nieder und mit wie von selbst antwortete er: „Nein, kann ich nicht.“

Er hörte Porthos‘ Stöhnen, das scharfe Lufteinholen Trévilles, das Raunen der Schaulustigen. Und als er in Richelieus freundlich lächelndes Gesicht sah, wusste er, dass er verloren hatte. Er würde als verurteilter Mörder sterben.

Kardinal Richelieu öffnete den Mund, um das Messer zum Todesstoss anzusetzen, da erklang eine neue Stimme; eine Stimme, die er nur zu gut kannte, eine Stimme, die das Befehlen gewohnt war, die er aber auch verletzlich und weich gehört hatte. Aber jetzt war sie barsch und kurzangebunden als sie laut fragte: „Was geht hier vor, Kardinal?“ Aramis‘ Herz schlug auf einmal rasend schnell. Die Königin war gekommen.

Anna war gekommen. 

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Athos‘ Wortschatz wurde noch um einige spanische Fluchworte bereichert, als er die Königin in den Ratssaal begleitete und dem Klang nachzuschliessen, waren es noch kräftigere Schimpfwörter als Aramis sie normalweise brauchte. Er fragte sich, wo die wohl bestbehütete Frau in Frankreich diese aufgeschnappt hatte, entschied sich dann aber, seine Erkundigungen in einen weniger emotional aufgeladenen Zustand anzustellen.

„Der Kardinal hat verhindert, dass der König mich darüber in Kenntnis setzt. Aber ich werde nicht zulassen, dass er Aramis hinrichtet, nur um seinen kleinlichen Rachefeldzug gegen die Musketiere fortzusetzen“, zischte die Königin, die linke Hand fest auf ihren gerundeten Bauch gepresst. Die unausgesprochenen Worte schwangen deutlich in ihrer Stimme mit. Ich werde nicht zulassen, dass er den Mann tötet, den ich liebe.

Bevor sie den Gerichtssaal betraten, ergriff er so sanft wie möglich ihren Arm. „Eure Majestät, niemand wünscht sich mehr als ich, dass Aramis gerettet wird, aber vergesst nicht: Ihr seid die Königin.“ Er sah ihr fest in die Augen und sah, dass sie verstand: Ihr seid seine Königin, nicht seine Geliebte! 

„Athos, ich werde so handeln wie es einer spanischen Prinzessin und Frankreichs Königin gebührt.“

Er musste lächeln als er ihren entschlossenen Gesichtsausdruck sah. Wahrlich er konnte verstehen wieso sich sein so lebenslustiger Freund in diese selbstbewusste, strahlende Frau verliebt hatte. So wie er es vor langer Zeit getan hatte. Nur dass es bei ihm nicht gut ausgegangen war. Und auch bei Aramis niemals gut enden würde.

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Als die Königin mit rauschenden Gewändern den Gerichtssaal betrat, mit Athos, der sich respektvoll in ihrem Schatten hielt, konnte d’Artagnan sich einen Freudenschrei gerade noch verkneifen. Stattdessen drückte er Porthos‘ Arm. Annas Auftauchen würde den Prozess die entscheidende Wendung geben, da hatte er keinerlei Zweifel.

Richelieu war aufgestanden und verbeugte sich gerade tief genug um nicht unhöflich zu sein. Er war ein zu beherrschter Mann, um sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen, aber d’Artagnan sah deutlich, wie sich seine Hände unter den weiten Ärmel seines Gewandes zu Fäusten ballten.

Anna musterte den Kardinal kühl. „Ich bin überrascht, dass dieser Prozess stattfindet, kaum, dass der  Leichnam des Musketiers kalt ist. Gewiss gibt es einen Grund für diese Eile.“

D’Artagnan kannte Anna als freundlichen und gütigen Menschen. Jetzt sah er zum ersten Mal eine Frau, die ihr Leben lang um Würde bemüht war und die mit jedem Zoll ihres Körpers Königin war und fest daran glaubte, von Gott für dieses Amt auserwählt worden zu sein. Ihr Kinn war leicht gehoben, die Hand ruhte auf ihrem gerundeten Bauch und sie sah so betont auf Richelieu hinab, dass klar wurde, dass sich ihre Rangfolge geändert hatte.

„Es war der Wunsch des Königs diese schmutzige Angelegenheit so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen.“

„Es war also der Wunsch meines Mannes, der sich selbst Louis der Gerechte nennt, dass ihr einen Mann vor Gericht zerrt, ohne dass ihr die Umstände näher beleuchtet, ohne ihm die Chance zu geben, sich zu verteidigen?“, fragte Anna und der Zorn liess ihre Wangen aufflammen. D’Artagnan hätte gerne applaudiert, aber wahrscheinlich würde er dann von Richelieu auf der Stelle zu Hochverrat verurteilt werden, wenn er seiner Königin Beifall spendete.

Richelieu wand sich sichtlich. „Nun, ich denke, dass in diesem Fall…“

Anna hob die Hand und erstickte so seine Verteidigung im Keim. Stattdessen wandte sie sich an Tréville. Der Hauptmann stand noch immer neben Aramis, die Hand auf seiner Schulter. „Captain Tréville. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Monsieur Aramis ein verdienter Musketier ist, der Frankreich stets unter Einsatz seines Lebens gedient hat?“

Tréville sah aus, als könne er sich nur schwer davon abhalten Anna zu umarmen. „Das ist richtig, Majestät.“

Annas Blick ruhte nun auf Aramis. D’Artagnan wusste, dass Anna Aramis mochte. Immerhin hatte er ihr mehrmals das Leben gerettet und war ein Schöngeist, ganz nach dem Geschmack der Königin. Auch jetzt wurde der Ausdruck ihrer Augen weicher, als sie den Musketier ansah und d’Artagnan glaubte sogar einen Hauch von Besorgnis in ihrem Gesicht zu lesen. Aber sie sprach nicht mit ihm, sondern richtete ihr Augenmerk wieder auf den Kardinal. „Dann verstehe ich nicht, warum er hier behandelt wird, als stünde seine Schuld bereits fest.“

Richelieus Miene verfinsterte sich. „Es gibt deutliche Hinweise, die diesen Schluss nahe legen, Eure Majestät.“ Die Floskel hängte er im letzten Moment noch an, als könne er sich nur schwer zu diesem Respektbeweise durchringen.

„Aber keine Beweise. Und kein Schuldeingeständnis.“

„Eure Majestät, mit allen gebührenden Respekt: Wir können nicht die Gefahr eingehen, ihn laufen zu lassen. Wer einmal zum Mörder wird, kann immer zum Mörder werden“, erwiderte Richelieu deutlich ungehalten. Dass er etwas die Fassung verlor, wertete d’Artagnan als gutes Zeichen, denn es bedeutete, dass er seine Felle davon schwimmen sah.

„Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ihr ihn freisprechen sollt. Aber ich verlange von Euch, dass ihr den Mord gründlich aufklärt. Ich verlange, dass Ihr erst dann das Urteil sprecht, wenn eindeutig bewiesen ist, dass Aramis schuldig ist. Bis seine Schuld oder seine Unschuld bewiesen ist, bleibt er in Haft. Dies ist der Wunsch Eurer Königin und ich rate Euch sehr, ihm nachzukommen!“

Mit diesen Worten drehte Anna sich um und rausche aus dem Saal, wobei Athos ihr die Türen aufhielt. Nicht nur der Kardinal, alle Anwesenden starrten dieser energischen Königin mit offenem Mund hinterher. „Das war wohl das, was man einen grosses Auftritt nennt“, flüsterte Porthos d’Artagnan zu und grinste von Ohr zu Ohr. D’Artagnan erwiderte das Grinsen. Anna hatte Aramis gerettet.

Zumindest für den Moment.

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Bevor die Wachen Aramis wieder abführen konnten, eilte Porthos zu ihm, wobei er einigen Prozesszuschauer auf die Füsse trat und noch mehr Gardisten „zufällig“ den Ellbogen in die Seite rammte. „Wartet!“, rief er. Die Soldaten hätten Aramis wahrscheinlich trotzdem rausgezerrt, wenn nicht Tréville aufgetaucht wäre und sie mit einem einzigen warnenden Blick zum Stillstehen gebracht hätte. Darum liebte Porthos seinen Captain so. Immer wenn man ihn brauchte, tauchte er wie aus dem Nichts aus.

Von Nahem sah Aramis noch schlechter aus. Seine Augen glänzten und seine Wangen waren gerötet,  dennoch schaffe er es irgendwie Porthos anzulächeln. „Ich hoffe, du hast mein Bett in der Garnison noch nicht an jemand anderen vermietet. Vielleicht habe ich doch noch Verwendung dafür.“

Es war ein mehr als nur halbherziger Versuch zu scherzen. Aber es war bezeichnend für Aramis, das er versuchte sich in blöde Witze zu flüchten. Und dennoch wirkte er so verloren, so schwach und verletzlich ohne seine Waffen und seine Uniform. Spontan zog Porthos ihn in eine Umarmung und hielt den immer noch zitternden Leib fest in seinen Armen. „Alles wird gut, Aramis. Wir kriegen das hin. Wir kriegen doch alles immer irgendwie hin.“

Aramis drückte sein Gesicht an Porthos‘ Schulter. „Ich hatte nie eine Beziehung mit Ellen. Das musst du mir glauben“, murmelte er, doch Porthos achtete kaum auf seine Worte. Selbst durch den Stoff seiner Kleidung spürte er die Hitze, die von seinen Freund ausging. Er löste sich aus der Umarmung und schob Aramis von sich, um ihm eine Hand auf die Stirn zu legen. Erschrocken zog er sie zurück. „Aramis, du glühst ja.“

„Mir geht es nicht so gut.“

„Ach ja? Das wäre mir ja gar nicht aufgefallen!“ Die Besorgnis liess Porthos laut werden.  Aramis war offensichtlich krank. Er brauchte einen Arzt, er brauchte Wärme und er brauchte ein vernünftiges Bett. Was er nicht brauchte waren kalte Steinfliesen, Gitter und Ratten.

Aramis seufzte. „Du wirst es nicht glauben, aber im Gefängnis achten sie nicht so wirklich auf meine Gesundheit. Da konzentrieren sie sich eher darauf, dass ich nicht davonlaufe. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass der Henker schwer enttäuscht sein wird, wenn ich sterbe, bevor er mir die Schlinge um den Hals legen kann.“

„Aramis, das ist nicht komisch!“, brauste Porthos auf. Wie konnte Aramis das so leicht hinnehmen? Menschen starben an Fieber! Ganz besonders, wenn sie in dunklen Kellerlöchern gefangen gehalten wurden. Aber dann bereute er es schon wieder Aramis angeschrien zu haben. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten und er hatte nichts Besseres zu tun, als ihn anzubrüllen.

Doch Aramis war nicht wütend. „Porthos, mach dir nicht zu viele Gedanken. Ich werde schon wieder gesund, es ist nicht ungewöhnlich im Kerker krank zu werden. Ich werde einfach viel schlafen und während ich mir eine schöne Zeit machen, dürft ihr in den schmutzigen Gassen von Paris nach dem wahren Mörder absuchen.“ Er klang so selbstbewusst wie immer und sogar das freche Funkeln in seinen dunklen Augen war wieder da, so als stünden sie nicht in einem Gerichtssaal und als schwebte Aramis nicht in Lebensgefahr. Als zittere er nicht wie Espenlaub, weil ihm so kalt war.

Porthos berührte Aramis‘ geschwollene Wange. „Und was ist hier passiert? Haben sie dich geschlagen?“ Was für eine blöde Frage! Natürlich hatte man ihn geschlagen! Aber Porthos wollte von ihm hören, wer das getan hatte, damit er denjenigen verprügeln konnte oder noch besser, ihm gleich den Degen in den Leib stossen konnte!

Sanft zog Aramis die Hand von seinem Gesicht. „Ich war ein wenig vorlaut. Das ist meine eigene Schuld.“

„Aramis…“ begann Porthos, doch der rote Gardist verlor endgültig die Geduld. „Ich muss leider diese herzzerreissende Unterredung unterbrechen, aber wir müssen gehen!“

Porthos achtete nicht auf ihn. Stattdessen zog er seinen Mantel aus und wickelte seinen Freund behutsam ein. „Damit du mir nicht erfrierst“, erklärte er. Er hätte ihm noch viel mehr sagen wollen, aber da wurde Aramis schon fortgezerrt und ihnen blieb nicht mehr als sich noch ein flüchtiges Lächeln zuzuwerfen.

Tréville trat neben Porthos, den Blick ebenfalls auf Aramis‘ entschwindende Gestalt gerichtet. „Er ist zäh, Porthos. Er wird durchhalten.“

Porthos nickte abwesend. Ja, Aramis war bei Gott nicht zartbesaitet, auch wenn er manchmal den Eindruck machte, als sei er nicht mehr als ein verwöhntes Junkersöhnchen. Und dennoch, sein Hang sich in Schwierigkeiten zu bringen war legendär, auch wenn er in letzter Zeit ernsthafte Konkurrenz von d’Artagnan bekam. Vielleicht hatte er deshalb immer das Gefühl, ihn schützen zu müssen.

Tréville klopfte ihn aufmunternd auf die Schulter. „Wir kriegen das hin!“

Porthos schnaubte. „Wir sollten das als neues Motto nehmen. Es passt zu uns.“

„Nein, mein Guter. Wenn ich je ein neues Motto ausgebe wird es höchst wahrscheinlich lauten: Unser Captain wird’s schon richten.“

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