Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Verrrat im Rücken

Kapitel 7

Verrat im Rücken

 

Auch Kardinal Richelieu war noch zu so später Stunde auf den Beinen, allerdings waren es keine Liebeleien, die ihn wach hielten. Er sass in seinem Arbeitszimmer und brütete über einen Brief des englischen Königs, unschlüssig, wie er ihn zu deuten hatte. Frankreichs Angelegenheiten hielten ihn oft bis weit nach Mitternacht wach, aber bis jetzt war es ihm immer leicht gefallen, denn auf seine Energie und seinen immer arbeitenden Verstand konnte er sich immer verlassen.

Doch heute spürte er die Müdigkeit in jedem Knochen und so lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, schloss die Augen und rieb sich über die Nasenwurzel. Vielleicht sollte er doch schon ins Bett gehen. Auch wenn sich keines seiner Probleme schlafend lösen lassen würde, der Gedanke an seine weichen Seidenkissen liess ihn schwach werden.

Bevor er diesen Gedanken jedoch zur Ausführung bringen konnte, liess ein lautes Klopfen, gefolgt vom Poltern schwerer Stiefel ihn den Kopf heben. Aber eigentlich hätte er sich das sparen können, denn wer ausser Captain Tréville würde es wagen, so spät noch in sein Arbeitszimmer trampeln?

Richelieu stiess einen Seufzer aus und legte die Feder weg. „Captain Tréville. Wie komme ich zu dieser späten Ehre?“

Tréville wirkte richtiggehend aufgekratzt. Seine Augen glänzten und zu Richelieus Missfallen stütze er sich schwer auf seinen Schreibtisch. Trévilles Hände waren schmutzig und zeugten deutlich davon, dass der Hauptmann Körperpflege nicht als oberstes Gut betrachtete und das parfümierte Leben am Hof mit Verachtung strafte. Er war Soldat, aufrecht und ehrlich, aber kein Diplomat.

Kein Wunder konnten sie sich nicht ausstehen.

„Aramis hat es nicht getan.“

Langsam bereute es Richelieu ernsthaft die Sache mit diesem elenden Musketier überhaupt angerissen zu haben. Aramis hatte ihn seine Liaison mit Adele gekostet und die Hand nach Dingen ausgestreckt, die ihm nicht gehörten. Ihn dafür hängen zu sehen war Richelieu geradezu himmlisch erschienen. Doch seine persönlichen Rachegefühle hatten ihm Ärger mit der Königin eingebracht und Tréville klebte jetzt an ihm wie ein Bluthund.

„Das habt Ihr mir schon ein paar Mal gesagt. Es hätte mich auch gewundert, wenn Ihr zugegeben hättet, dass einer Eurer Musketiere eines Mordes fähig ist.“

„Ihr wollt unbedingt, dass es Aramis gewesen ist. Ihr habt ihm kaum eine Chance gelassen sich zu verteidigen“, sagte Tréville anklagend.

„Ich hab ihm durchaus eine Chance gelassen. Nur bestand seine Verteidigung grösstenteils aus Lügen und der Geschichte, dass er sich an nichts erinnern kann. Wenn Euer Musketier so dumm ist sich bei einem Mord erwischen zu lassen und sich dann bei der Gerichtsverhandlung noch dümmer verhält, ist das wohl kaum meine Schuld!“

Zu Richelieus äusserster Befriedigung lief Tréville krebsrot an. Es war immer wieder amüsant, dem sonst so beherrschten Musketier Gefühlsregungen abzuringen und es versüsste ihm den Tag ungemein, wenn es ihm gelang. „Aramis geht es offensichtlich schlecht. Und Ihr habt ihn dennoch vor Gericht gezerrt!“

Natürlich musste Tréville wieder einmal den besorgten Papa für seine Männer spielen. Richelieu verwarf die Hände Richtung Himmel. „Oh ja, ich bin ein schlechter Mensch. Ich fasse einen mutmasslichen Mörder nicht mit Samthandschuhen an und nehme keinerlei Rücksicht auf seinen geistigen Zustand. Das wird mich das Paradies kosten.“ 

„Wenn Ihr tatsächlich ins Paradies gelangt, gehe ich freiwillig in die Hölle!“

Tréville gab sich nicht einmal die Mühe diplomatisch vorzugehen und seine Abneigung gegen ihn zu verbergen. Das war nicht nur erfrischend, sondern gab Richelieu auch die Sicherheit, dass ihn von Seiten der Musketiere kein geheimes Attentat drohte. Sollte Tréville je seine ständigen Drohungen wahrmachen und ihn tatsächlich einmal umbringen wollen, würden die Musketiere einfach ganz offen in sein Arbeitszimmer marschieren und ihn mit der Muskete erschiessen.

„So sehr ich theologische Diskussionen mit Euch schätze: Es ist schon spät, also würde ich es vorzuziehen, endlich zu erfahren, was Euch zu mir führt.“

Ein wilder Triumph trat in Trévilles dunkle Augen. „Ich will, dass Ihr für morgen eine Anhörung ansetzt.“

„Habt Ihr mir nicht eben noch vorgeworfen, ich nähme keine Rücksicht auf Aramis‘ Gesundheitszustand? Und jetzt wollt Ihr ihn selbst noch einmal den Strapazen einer Gerichtsverhandlung ansetzen?“

„Kein Gericht. Eine Anhörung.  Ich habe neue Beweise, die Aramis entlasten werden. Danach können wir ihn auf freien Fuss setzen und endlich den Mörder von Francis suchen“, sagte Tréville mit diesem kleinen, triumphierenden Lächeln, das Richelieus Blut stets in Wallung geraten liess.

Aber er war ein zu beherrschter Mann um sich seinen Ärger anmerken zu lassen. Da war es doch diesen vermaledeiten Musketieren wieder einmal gelungen, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Was für ein unheimliches Talent diese Männer doch hatten, stets im letzten Moment irgendwelche Beweise aus dem Hut zu zaubern. Doch noch befand sich Aramis in seiner Hand.

„Ich nehme an, Ihr werdet mir nicht verraten, was für Beweise das sind?“

Tréville verdrehte die Augen. „Doch natürlich. Ich werde Euch alles bis ins kleinste Detail erzählen, damit Ihr bis morgen hübsch Zeit habt, alles zu verdrehen, so dass es Euch in den Kram passt und Aramis an den Galgen kommt, weil ich liebe es, meine Musketiere baumeln zu sehen.“

Meine Musketiere. Meine Männer. Warum musste Tréville immer so dramatisch sein? Richelieu hatte seine Rote Garde damit sie ihn beschützten und das taten, was er von ihnen verlangte, nicht weil er das Bedürfnis hatte, seine Vatergefühle für sie auszuleben. Die Welt wäre ein weitaus vernünftigerer Ort, wenn es nicht so viele gefühlsduselige Menschen wie Tréville gebe.

„Sarkasmus steht Euch nicht, Monsieur Tréville. Aber wenn es Euch so glücklich macht, werde ich morgen eine Anhörung abhalten. Ich gebe Euch noch Nachricht mit der genauen Uhrzeit. Zufrieden?“

„Sogar sehr zufrieden. Dann sehen wir uns also morgen.“ Tréville tippte sich an den Hut, bevor er sich umdrehte und aus dem Gemach marschierte, ganz wie ein General nach einer erfolgreich geschlagenen Schlacht.

„Ich kann es kaum erwarten“, grollte Richelieu. Seine vorübergehende Hochstimmung war schon wieder verflogen. England machte Scherereien, die Königin wurde von Tag zu Tag aufsässiger, er wurde Aramis wohl doch nicht los und Tréville wurde immer unverschämter.

Und abgesehen davon hatte Tréville ihm mit seinen dreckigen Stiefeln den teuren Teppich versaut.

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„Francis, was ist los mit dir?“

„Nichts!“

„Für nichts, machst du aber ein ziemlich böses Gesicht. Du hast noch keinen einzigen schlechten Witz gerissen, seit wir hier sind.“

„Du wirst es nicht glauben, aber das Leben besteht nicht nur aus Spass…“

„Rede mit mir!“

„Du wirst mich hassen, wenn ich es dir erzähle.“

„Ich werde dich niemals hassen!“

„Aramis…ich habe einen furchtbaren Fehler begangen.“

Ein alles umfassender Schmerz, ein leichenblasses Gesicht, leere Augen, die in den Himmel starren, ein Körper, der nie mehr atmen würde. Ein roter Gardist, der ihn wegzerrt von der Leiche seines Freundes, eiserne Ketten um seine Handgelenk und die ersterbende Stimme von Francis, der seinen Namen haucht.

Aramis erwachte schweratmend in der Kälte seines Kerkers. Seine Kopfschmerzen waren verschwunden, aber er fühlte sich immer noch fiebrig und schwach. Dennoch wertete er es als positives Zeichen, dass er wieder einigermassen klar denken konnte. Und vor allem war er froh, dass seine Erinnerungen zurückkehrten, denn sein Traum hatte aus Bruchstücken der letzten Unterhaltung mit Francis bestanden.

Er schloss die Augen und versuchte, die Fetzen seines Traumes irgendwie in Einklang zu bringen. Francis war so anders gewesen an jenen Abend. So traurig und gleichzeitig irgendwie aufgekratzt und unterschwellig aggressiv. Und dann hatte er irgendwas von Schuld gesagt, weil er…Ja, was hatte er getan? Er hatte es ihm gesagt, Aramis war sich sicher, dass Francis ihm an jenem Abend sein Herz ausgeschüttet hatte. Und er wusste, es war eine wichtige Information gewesen, aber an diesem Punkt verweigerte sein Kopf ihm wieder den Dienst. Er konnte sich nicht mehr erinnern.

Seufzend schlug er die Augen auf. Er musste dankbar sein, dass seine Erinnerung zumindest teilweise zurückgekehrt war. Ausserdem bestand die Hoffnung, dass der Rest auch noch zurückkehrte. Er musste Geduld haben. Geduld und Vertrauen in seine Freunde.

Ihm war immer noch so furchtbar kalt, obwohl Porthos‘ Mantel schwer um seine Schultern hing und ihn zumindest etwas wärmte. Er war Porthos dankbar dafür, dass er ihm das Kleidungsstück überlassen hatte, nicht nur, weil es die beissende Kälte in Schach hielt, sondern weil es ihm das Gefühl gab, dass sein Freund irgendwie bei ihm war.

Wenn Porthos hier wäre, wäre es einfacher. Er würde die Wachen ärgern, brüllend nach Essen verlangen und schlechte Witze erzählen. Er würde Aramis zwingen, sich mit ihm zu unterhalten, damit er ja nicht auf die Idee käme, in seinen dunklen Gedanken zu versinken. Denn so war Porthos. Gut und treu und lustig. Sein bester Freund.

Doch jetzt war er nicht hier. Aramis war allein mit der Kälte, der Dunkelheit und der Angst, die ihn jeder Ecke lauerte.

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Porthos hätte Tréville am liebsten geküsst, als dieser ihnen berichtete, dass er einen Zeugen gefunden hatte, der Aramis entlasten könnte. Aber er beherrschte sich gerade noch. Über d’Artagnans Gesicht glitt ein sonniges Lächeln und selbst Athos‘ Mundwinkel hoben sich für seine Verhältnisse geradezu übermässig viel.

„Ich habe den Kardinal um eine erneute Anhörung gebeten. Morgen kommt Dupont in den Palast und wird wiederholen, was er mir gesagt hat.“ Trévilles Gesicht hatte einen äusserst zufriedenen Ausdruck angenommen, genau wie eine Katze, die gerade eine Maus verspeist hatte.

„Und dann kommt Aramis aus dem Gefängnis“, jubelte d’Artagnan. Vor Freude schloss Porthos den jungen Mann in die Arme. Endlich würde alles wieder gut werden. Mit Aramis an ihrer Seite würden sie Francis‘ wahren Mörder finden und dann würde ihr toter Bruder endlich Frieden finden. Und Ellen, diesem Biest, würden sie den hübschen Hals umdrehen.

Athos schloss sich den allgemeinen Freudentaumel nicht an, sondern verschränkte die Arme vor der Brust. „Es gibt immer noch einiges Ungeklärtes an diesem Fall. Zum Beispiel wieso Ellen bei ihrem Verlobten ist, obwohl dieser gerade im Leichenschauhaus liegt. Warum sie Aramis so schwer beschuldigt hat. Und der Kardinal wird trotzdem alles tun, um Aramis wieder ins Gefängnis zu bringen.“

Ja, man konnte sich doch immer darauf verlassen, dass Athos die Stimmung wieder runterzog. Porthos wollte ihn schon scharf zurechtweisen, liess es dann aber. Athos gehörte nun einmal zu den Menschen, die alles immer schwarzsahen. Aber gerade jetzt wollte Porthos einfach nur glücklich darüber sein, dass er Aramis bald wieder bei sich hatte.

Er konnte es kaum erwarten, Adelina davon zu erzählen.

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Tréville hatte schlecht geschlafen. Er hatte geträumt, dass Dupont gar nicht aufgetaucht war. Der Kardinal hatte ihn ausgelacht und dann befohlen, Aramis zu exekutieren. Sie hatten ihn in den Raum gezerrt und ihm den Kopf abgeschlagen, unter den entsetzten Blicken von Porthos, Athos und d‘Artagnan. Und dann hatte Richelieu ihm mit triumphierender Miene den abgetrennten Kopf in den Schoss geworfen, er hatte geschrien und war dann schweissgebadet auf dem Boden seines Zimmers aufgewacht.

Der Traum steckte ihm noch in den Knochen, als er ungeduldig auf das Erscheinen Duponts wartete. Seine Nervosität wurde nicht gerade gemindert durch die Tatsache, dass Porthos neben ihm ständig hin und her tigerte, unfähig, seine Ungeduld zu verbergen. Athos dagegen stand wie ein Fels neben ihm, als wohne er gerade einer Parade bei, während d’Artagnan seine Angespanntheit nur dadurch verriet, dass er sich ständig durch die Haare fuhr.

„Ist dieser Dupont denn zuverlässig?“, erkundigte sich Porthos.

„Er hat einen sehr angenehmen Eindruck auf mich gemacht“, antwortete Tréville, den Blick geradezu fanatisch auf die Tür gerichtet. Er hatte einen seiner Musketiere geschickt um Dupont abzuholen. Er wollte, dass dieser in Palast war, bevor der Kardinal und Aramis erschienen. Nicht, dass sich sein Traum noch bewahrheitete. Dankbarerweise fand die Anhörung nicht im Gerichtssaal statt, sondern in dem Raum, wo der König intimere Gäste zu empfangen pflegte. Kein Publikum mehr. Das würde für Aramis eine grosse Erleichterung bedeuten.

„Er wirkte seriös und vertrauenswürdig.“

„Aramis hat von ihm gesprochen. Ist das nicht dieser Herr, der sich zum Priester weihen lassen will?“, warf Athos unvermittelt ein. Das würde freilich die Freundschaft der beiden erklären. Und Tréville konnte sich diesen besonnenen Mann mit dem melancholischen Zug um den Mund sehr gut als Priester vorstellen. 

„Warum hat Aramis nicht gesagt, dass Dupont an diesem Abend mit ihm unterwegs war?“ D’Artagnan stellte die Frage, die sich Tréville auch schon gesellt hat. Inzwischen hatte er sich eine Antwort zusammengereimt. „Aramis war vor Gericht doch kaum bei Sinnen. Ich glaube nicht, dass er sich in diesen Moment an irgendwas erinnert hat, was in dieser Mordnacht passiert ist.“

„Dupont hätte auch vorher auftauchen können. Hätte Aramis viel Leid ersparen können“, knurrte Porthos.

„Er wusste es wahrscheinlich gar nicht“, verteidigte Tréville ihn.

„Wie kann er das nicht wissen?“ Wie immer, wenn Porthos‘ Nerven angegriffen waren, suchte er irgendetwas um Dampf abzulassen und in diesem Fall war es eben der abwesende Robert Dupont. Aber mit ein bisschen Glück war der Albtraum bald ausgestanden und alle Unzertrennlichen würden wieder zu ihrem normalen geistigen Zustand zurückkehren. Falls man bei diesen vier Männern überall von „normal“ sprechen konnte.

Athos verdrehte die Augen. „Porthos, du wirst es nicht glauben, aber nicht alle Menschen auf der Strasse von Paris reden über Aramis.“

Porthos‘ Gesicht verdunkelte sich auf geradezu dramatische Weise und Tréville befürchtete schon einen heftigen Ausbruch, als sich endlich die Tür öffnete und Dupont eintrat. Allerdings sah er, zu Trévilles Bestürzung, nicht wirklich gut aus. Er war so bleich, wie ein Leichentuch und auf seiner Wange zeichnete sich eine unschöne Rötung ab, die gestern Abend noch nicht da gewesen war.

Sofort stürzte Tréville auf ihn zu. „Monsieur Dupont, ist  Euch etwas geschehen?“

Dupont musterte ihn erstaunt und fasste sich dann an die Wange, als erinnere er sich erst jetzt an die Wunde. „Mir geht es gut Captain. Ich war nur etwas…ungeschickt.“

Tréville kannte diese Ausrede. Seine Musketiere brauchten sie immer, wenn sie mit irgendwelchen mysteriösen Blessuren bei ihm auftauchten. Robert Dupont log. Und das konnte nichts Gutes bedeuten. Er wollte weiter in ihn dringen, wollte wissen was geschehen war, sicher gehen, dass er bei seiner Aussage bleiben würde, doch in dem Moment rauschte Richelieu herein mit weit gebauschtem Mantel und einer Miene, als habe er gerade in etwas sehr Saures gebissen. Kurz danach wurde Aramis ins Zimmer gebracht, noch immer sichtlich gezeichnet von den Strapazen, aber mit einem hoffnungsvollen Leuchten im Gesicht.

Trévilles Herz wurde schwer, als er zu ahnen begann, dass er diese Hoffnungen enttäuschen würde. Und ihm wurde kalt bei dem Gedanken, dass er seinen Musketier nicht gerettet, sondern wenn möglich noch tiefer ins Unglück gestürzt hatte.

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Aramis pflegte immer zu sagen, dass Athos jeden Morgen wenn die Sonne aufging schon daran dachte, dass es bald wieder Nacht werden würde. Damit drückte er auf seine übliche poetische Art und Weise aus, dass er Athos für einen Miesepeter hielt. Und Athos selbst konnte ihm eigentlich nur Recht geben. Das Leben hatte ihn zu einem misstrauischen Menschen gemacht und am meisten misstraute er dem Glück.

Als Tréville ihnen gestern berichtet hatte, dass er einen Zeugen gefunden hatte, der Aramis entlasten konnte, hatte sich der Zweifel augenblicklich in sein Herz geschlichen. Nachdem alles so gründlich schief gelaufen war, tauchte plötzlich der rettende Engel auf? Das schien ihm etwas sehr viel glücklicher Zufall. Seine Freunde mochten sich über seine pessimistischen Ansichten lustig machen, aber er lag meistens richtig mit seinem Gefühl. Er bettete, dass es ihn heute trog.

Richelieu wirkte ausnehmend schlecht gelaunt. Er bedachte alle Anwesenden mit einem finsteren Blick, erinnerte sich dann aber an seine amtlichen Pflichten und sprach förmlich: „Ihr habt um eine erneute Anhörung in der Sache des Mordfalles an dem Musketier Francis  gebeten, Captain Tréville. Nun, ich warte: Wo sind die neuen Beweise?“ Er schlug die knochigen Hände zusammen und blickte Tréville erwartungsvoll an.

Dieser schob Dupont in dem Vordergrund. Athos entging nicht, dass er seine Hände fest auf die Schultern des Mannes drückte, als fürchtete er, er wolle davonlaufen.  „Monsieur Dupont hat eine wichtige Aussage zu machen.“

„Darf ich vielleicht erst erfahren, wer Monsieur Dupont ist?“, fragte Richelieu mit einem gekünstelten Lächeln.

Dupont nahm den Hut auf. Athos fiel auf, dass seine Hand zitterte. Dieser Mann war furchtbar nervös. Oder aber er hatte Angst. Wobei man durchaus einen Schreck bekommen konnte, wenn man zum ersten Mal in Richelieus Antlitz sah, dass eine geradezu frappante Ähnlichkeit mit dem Teufel aufwies. „Ich bin Robert Dupont. Ich bin nach Paris gekommen, um mich dem geistigen Studium zu widmen.“

„Ihr wollt Priester werden?“, hakte Richelieu nach.

Dupont schlug bescheiden die Augen nieder. „Wenn Gott mich will.“

„Nun, da Ihr ein Mann Gottes seid, brauch ich Euch wohl nicht zu ermahnen, hier die Wahrheit zu sprechen. Nun erzählt mir: Was ist an jenem Abend wirklich passiert?“

Nun tat Dupont etwas sehr Seltsames. Er sah auf und suchte den Blickkontakt mit Aramis. Dieser lächelte ihm arglos zu, doch es war genau dieses freundliche Strahlen, dass Dupont noch mehr aus der Fassung brachte. Athos konnte sehen, dass er hart schluckte. Für einen Moment verzog sich seine Miene zu einer gequälten Maske. Doch dann verschwanden diese Empfindungen und zurück blieb ein maskenhafter Gesichtsausdruck, den Athos nur zu gut kannte. Denselben sah er, wenn er in den Spiegel blickte.

„An jenem Abend hatten Francis und Aramis einen furchtbaren Streit.“

Athos‘ Magen drehte sich um. Das klang gar nicht gut. Das war auf keinen Fall ein Einstieg für eine Unschuldserklärung für Aramis. Wie von selbst streckte er die Hand aus und umfasste Porthos‘ Arm mit festen Griff. Diese Geste hatte er in den letzten Tagen so oft wiederholt, dass es schon fast schmerzhaft vertraut war. Vielleicht sollte er Porthos beim nächsten Gerichtstermin einfach vor der Tür anbinden.

„Und um was ging es bei diesem Streit?“

Dupont leckte sich über die Lippen. „Um Ellen. Aramis hatte eine Affäre mit ihr und Francis hat es rausgekriegt. Sie haben sich furchtbare Dinge an den Kopf geworfen und schliesslich ist Francis rausgestürmt. Und Aramis…“ Er geriet ins Stocken und senkte den Kopf. Athos realisierte, dass er Aramis nicht in die Augen sehen konnte. Dupont hatte die Hände zu Fäusten geballt, als wäre seine Aussage ein einziger Kampf. Sah der Kardinal denn nicht, dass dieser Mann log?

Doch Richelieu achtete nicht auf Duponts offensichtliches Unbehagen. „Was hat Aramis?“

„Er…er hat gesagt, dass er nicht zulassen würde, dass Ellen wieder zu Francis zurückkehre. Er war völlig ausser sich. Ich wollte ihn beruhigen, aber er stiess mich von sich. Und dann rannte er Aramis hinterher. Und….in der Hand hielt er ein Messer.“ Die letzten Worte würgte er förmlich hervor, als blieben sie ihm sonst im Halse stecken.

Die Beschreibung „verdattert“ hatte wohl noch nie so gut gepasst wie jetzt. Alle starrten Dupont mit heruntergelassener Kinnlade an. Selbst Richelieu wirkte nicht triumphierend, sondern schlichtweg verdutzt. „Und inwiefern solle diese Aussage Monsieur Aramis entlasten?“, wandte er sich sichtlich ratlos an Tréville.

Athos löste seine Finger von Porthos‘ Arm. Sollte sein Freund doch auf ihn losgehen. Er würde ihn sogar noch unterstützen. Auf seiner anderen Seite griff d’Artagnan nach seinem Degen. Athos wusste, dass seine beiden Brüder dasselbe dachten wie er: Dass sie so lange auf diesen verdammten Lügner eindreschen würden, bis die Wahrheit aus seinem verlogenen Mund kam. Tréville würde sie nicht aufhalten. Ihr Captain sah eher so aus, als wolle er das Verprügeln gleich selbst übernehmen.

Es war Aramis, der ihren Zorn in Zaum hielt. Er sah sie an und sein Mund formte ein tonloses Nein. Athos begriff, dass sein Freund nicht wollte, dass sie mit ihm in den Abgrund stürzten, aber es war so schwer, die Verzweiflung auf seinem Gesicht zu sehen und nichts tun zu können, um sie zu lindern. Alles was er tun wollte, war ihn in die Arme zu nehmen, einfach um ihm zu versichern, dass sie ihn nicht aufgeben würden. Doch er bezähmte diesen Drang, denn was hätte es Aramis schon genutzt? Nichts.

Richelieu fing sich als Erstes wieder. „Das sind schwere Anschuldigungen, die Ihr da erhebt.“

Dupont biss sich auf die Lippen. „Aber es ist die Wahrheit.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Warum sagst du so etwas? Ellen war schon immer verlogen, aber dass du mich betrügst, Robert, das hätte ich nie geglaubt.“ Aramis‘ leise, enttäuschte Stimme war schwerer zu ertragen, als wenn er geschrien hätte. Athos mochte sie kaum vorstellen, wie er sich fühlen musste. Das wäre, wie wenn d’Artagnan sich plötzlich hinstellen und behaupten würde, Athos habe jemanden ermordet. Nichts schmerzte so sehr wie der Verrat eines Freundes.

Duponts Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an. „Wir alle müssen für unsere Sünden büssen, Aramis.“

Mit einer Kraft, die ihm niemand mehr zugetraut hätte, riss Aramis sich von dem Gardisten los und stürzte sich auf Dupont. Wären seine Hände nicht gefesselt gewesen, er hätte ihn wohl am Kragen gepackt, doch so blieb er einfach vor ihm stehen, der Blick aus seinen dunklen Augen mörderisch und die Stimme so donnernd wie ein tobendes Gewitter, als er sagte: „Sprich du mir nicht von Sünde, Robert! Das was du mir heute angetan, dafür wirst du dich verantworten müssen. Nicht vor mir. Aber vor unserem Herren.“

„Monsieur Aramis, Ihr vergesst Euch!“, bellte Richelieu und die Wache zerrte Aramis so hart an der Schulter zurück, dass er beinahe gestürzt wäre. Doch da war schon Porthos an seiner Seite und fing ihn auf, wobei er den Gardisten anknurrte: „Lass deine Finger von ihm oder ich breche dir jeden einzeln!“

„Musketiere, zügelt euer Temperament oder ich lass euch aus dem Palast werfen.“ Oh, wie Richelieu diese Situation genoss! Seine Feinde hatten sich selbst ins Bein geschossen und jetzt fiel ihm alles wie reife Äpfel in den Schoss. Athos hätte sich nicht gewundert, wenn Richelieu jetzt seine Roben gerafft und getanzt hätte, aber zum Glück blieb ihnen zumindest dieser Anblick erspart. Athos hätte es nicht ertragen, jetzt auch noch Richelieus Beine sehen zu müssen.

„Monsieur Aramis, die Aussage Duponts belastet Euch schwer. Ist Euch klar, dass damit Euer Todesurteil so gut wie unterschrieben ist?“

Ein humorloses Lächeln glitt über Aramis‘ schöne Züge, als er sagte: „Das war im Grunde schon unterschrieben, als Ihr den Vorsitz in dieser Sache übernahmt, Kardinal Richelieu.“

Porthos drückte seinen deutlich zierlicheren Freund an sich. D’Artagnan glitt ebenfalls an Aramis Seite, während Athos sich hinter seine Brüder stellte. Sie waren eine Einheit. Gerade in dieser dunklen Stunde gehörten sie zusammen. Alle drei wandten das Gesicht zu Richelieu, in stummer Erwartung des Urteils.

„Wie rührend“, höhnte der Kardinal, „wollt Ihr Euch nicht noch dazu gesellen, Tréville? Dann wäre die Familie vereint.“

Tréville sah aus, als wolle er dem Kardinal die Faust ins Gesicht rammen. „Macht es kurz, Richelieu. Habt zumindest diese Gnade.“

„Nun, denn meine Herren. Ich denke, dank Monsieur Duponts Aussage ist aus einem Verdacht leider traurige Gewissheit geworden. Die Königin hat nach mehr Beweisen verlangt. Die hat uns Robert Dupont geliefert.  Aramis hat seinen Freund aus Eifersucht erstochen. Damit ist er ein Mörder und ein Verräter an den Musketieren, was einem Verrat an Frankreich gleichkommt. Dafür verurteile ich Aramis zum Tode. In vier Tagen findet die Hinrichtung statt.“

 

Anmerkung: Ach Gott, ich bin ja so gemein! Jetzt ist es für unseren Musketier noch eine ganze Ecke düsterer geworden. Ahnt ihr schon wer hinter diesem tödlichen Spiel steht? Theorien sind immer willkommen! Ich persönlich hatte viel Spass beim Duo Richelieu und Tréville! Deshalb werden die zwei wohl noch ein wenig mehr Zeit miteinander verbringen…Ich freu mich schon darauf.