"Die Gräfin de Winter" von Rochefort
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 30 BewertungenKapitel Im Salon Rambouillet
Anmerkung des Autors: Teile dieses Kapitels stammen aus der Feder von Armand-Jean-Duplessis. Vielen Dank dafür!
Das Hôtel de Rambouillet befand sich in einem vornehmen Viertel der Stadt in der rue Saint-Thomas du Louvre, zwischen dem Louvre und den Tuilerien. Der Salon der Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet, galt zu jener Zeit als eine der ersten Adressen der Pariser Gesellschaft. Der Charme, die Intelligenz und vorurteilsfreie Großzügigkeit der hochgebildeten Hausherrin hatten einen Zirkel der besonderen Art entstehen lassen: Hier trafen sich, über alle Standesgrenzen hinweg, geistig interessierte Hochadelige mit kleinadeligen und bürgerlichen Intellektuellen, Männer wie Frauen, und übten sich in der geistreichen Konversation sowie in der Dichtkunst. Das Hôtel de Rambouillet beherbergte eine Vielzahl kleinerer und größerer Räumlichkeiten und Separées für Besucher; jedermann kannte den berühmten Blauen Salon, in dem Catherine de Vivonne mit Vorliebe ihre Empfänge gab. Nahezu alle führenden Persönlichkeiten aus Aristokratie und Literatur konnte die Marquise mittlerweile zu ihren Gästen zählen.
Wie zu erwarten, bevölkerte auch an diesem Abend bereits eine illustre und bunt gemischte Gesellschaft das Palais, als der Erste Minister von Frankreich mit seiner Entourage eintraf. Nachdem die Hausherrin ihren hohen Gast respektvoll begrüßt hatte, fiel ihr Blick auf dessen schlanken, schwarz gekleideten Begleiter, der sich etwas im Hintergrund hielt.
„Monsieur le Comte, welch‘ seltene Freude! Ihr habt Euch wieder rar gemacht in den letzten Monaten." In ihren Worten und Gesten lag jene herzliche Offenheit, mit der sie alle Besucher in ihrem Haus willkommen hieß.
Der Angesprochene lächelte leicht. Nur wer ihn gut kannte und in seinen Augen zu lesen vermochte, konnte bemerken, dass dahinter mehr als rein förmliche Freundlichkeit lag. „Madame", erwiderte er mit einem leisen Seufzer, „Ihr wisst, wie sehr ich diesen Umstand bedauere, doch Ihr kennt meine zahlreichen Verpflichtungen…"
Die Marquise hatte sich inzwischen zwanglos bei ihm untergehakt und zog ihn zu einer Fensternische, wo sie kurz plaudern konnten, ohne den anderen Gästen im Wege zu stehen. „Aber ein paar Stunden um auf meinem Gestüt vorbei zu schauen, müsst Ihr Euch in nächster Zeit abzweigen."
Rochefort horchte auf. „Ist denn das Fohlen schon da?"
Madame de Rambouillet strahlte: „Ja, vorgestern war es soweit. Ein Hengstfohlen und kerngesund, wie es aussieht. Ein prächtiger Kerl. Kohlrabenschwarz. Ich denke, der wird einmal ein Pferd, das zu Euch passen würde." Sie zwinkerte ihm zu. „Vielleicht verkaufe ich ihn Euch."
Im Nu waren sie in eine Fachsimpelei über edle Rösser vertieft. Wenn Rochefort zurückdachte, musste er zugeben, dass er ursprünglich die Freundschaft der Marquise aus sehr eigennützigen Gründen gesucht hatte. Ihr Salon war für einen Agenten der ideale Ort in Paris um Informationen aller Art zu sammeln und ihre gemeinsame Begeisterung für Pferde hatte sich als eine gute Basis erwiesen um näher miteinander in Kontakt zu kommen. Im Laufe der Zeit hatte sich jedoch ehrliche Sympathie zwischen ihnen entwickelt und der Stallmeister Seiner Eminenz war nicht nur gern gesehener Gast im Salon, sondern auch auf dem Gestüt der Marquise, die immer wieder seinen fachmännischen Rat in Anspruch nahm, wenn es um ihre Pferdezucht ging. Umgekehrt hatte sie dem Grafen schon zahllose wertvolle Hinweise ihre Gäste betreffend gegeben, die diesem bei seiner Arbeit stets nützlich waren.
„Sucht Ihr jemand bestimmten?" fragte Catherine nun, der nicht entgangen war, dass Rochefort während ihrer Unterhaltung seinen Blick immer wieder über die Anwesenden schweifen ließ. „Ja, die Gräfin de Winter. Meines Wissens sollte sie heute hier sein."
Die Marquise nickte. „Ja, sie ist bereits eingetroffen. Ich glaube, sie hat sich in eines der Separées begeben, wo man sich gerade über die gestrige Opern-Premiere unterhält. Die Dame ist sehr umtriebig. Es gibt kaum einen gesellschaftlichen oder kulturellen Anlass in der Stadt, bei dem sie fehlt. Interessiert sie Euch?"
„Seine Eminenz interessiert sich für sie und mithin auch ich", erwiderte der Graf, um dann hinzufügen: „Aber ich bitte um Diskretion darüber."
Madame Catherine lächelte. „Aber natürlich – Ihr wisst, ich kann schweigen wie ein Grab. Ah – da ist sie schon!"
Charlotte de Winter trat just in dem Moment aus der Tür des Separées. Ihr traumhaftes Kleid aus schimmerndem blauen Atlas, mit Gold- und Perlenstickerei verziert, harmonierte wunderbar sowohl mit ihrem goldblonden Haar als auch mit der Ausstattung des Blauen Salons, so, als wäre es eigens für den Besuch im Haus der Marquise kreiert worden. Die Ausstrahlung und Präsenz dieser Frau waren wirklich beeindruckend.
Als Mylady aus einigen geflüsterten Bemerkungen der Umstehenden entnommen hatte, dass Kardinal Richelieu soeben eingetroffen war, hatte sie nur nach einem Vorwand gesucht, um die Unterhaltung, die sie bereits zu langweilen begann, abzubrechen und sich zurück in den Blauen Salon zu begeben. Wohl hatte sie den mächtigen und gefürchteten Ersten Minister Frankreichs bei ein, zwei Gelegenheiten schon aus der Distanz gesehen, doch sie war noch nie in seiner unmittelbaren Nähe gewesen und sie war neugierig, den Mann, über den so viel geredet wurde, einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Als sie das Separée verließ, fiel ihr Blick jedoch zuerst auf einen Kavalier, der schräg vis-a-vis in einer Fensternische mit der Gastgeberin sprach. Für einen Moment lang erstarrte sie mitten im Schritt: Der Edelmann von dem Fest in den Tuilierien, jener, der damals diskret versucht hatte, sie zu beobachten! Rasch wandte sie sich an einen Herrn zu ihrer Rechten, Louis de Marillac, angesehener Offizier und Bruder des königlichen Siegelbewahrers Michel de Marillac. „Verzeiht, Monsieur, könnt Ihr mir sagen, wer jener schwarzgekleidete Herr dort drüben neben der Marquise de Rambouillet ist? Ich sehe ihn heute zum ersten Mal hier im Salon."
Der Angesprochene verzog ein wenig das Gesicht, während er antwortete: „Comte Armand de Rochefort, Stallmeister von Kardinal Richelieu … und sein oberster Spion", fügte er nach kurzer Pause etwas verächtlich hinzu. Von dem Mann hält man sich am besten fern."
Ein Agent Seiner Eminenz also! Dann war ihre Befürchtung, dass man sie der Spionage für England verdächtigte, offenbar doch richtig. Vielleicht war es gar nicht so klug gewesen, heute hierher zu kommen und damit zu riskieren, die direkte Aufmerksamkeit Richelieus auf sich zu ziehen. Einige Augenblicke haderte sie mit sich und überlegte, ob sie den Salon Rambouillet unauffällig wieder verlassen sollte. Doch andererseits … sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen und –sie war noch nie der Mensch gewesen, der sich von Gefahren abschrecken ließ oder vor einer Herausforderung kapitulierte. Nun denn – es würde sich ja zeigen, was der heutige Abend noch für sie bereithielt! Aus den Augenwinkeln registrierte sie, dass gerade jetzt der Kardinal zu seinem Stallmeister und der Marquise trat und leise ein paar Worte mit ihnen wechselte. Und – Zufall oder auch nicht – sie dabei mit einem kurzen Blick streifte…
Kurze Zeit später schien sich Kardinal Richelieu zurück zu ziehen. Ein Diener öffnete ihm die Tür zu einem kleinen Salon, und ohne sich von den anderen Gästen zu verabschieden betrat er den Raum. Dieser war cremefarben eingerichtet und wirkte im Vergleich zu den anderen Räumlichkeiten des Hôtel de Rambouillet eher bieder. Zwei bequeme Fauteuils, ein rundes Tischchen mit Elfenbeineinlegearbeiten, ein Canapé mit zwei Seidenpölstern und ein Beistelltischchen mit einer geschlossenen Kristalkaraffe nebst vier Gläsern und ein silberner kleiner Kerzenleuchter, das war die ganze Einrichtung. Auf ein Zeichen des Kardinals löste Rochefort die Kordeln, welche die schweren Samtvorhänge seitlich an den Fenstern hielten. Der Raum wurde dadurch fast des ganzen Lichtes beraubt. Auf dem Weg zu dem der Tür zugewandten Fauteuil nahm Richelieu die beiden Pölster vom Canapé und legt einen sanft auf den Sitz und den anderen an die Rückenlehne. Dann nahm er Platz.